Fit für die Schule

Die meisten Eltern wünschen sich, dass ihrem Nachwuchs der Schulstart gelingt. Aber wie fördern sie ihr Kind am besten?

Die Vorbereitung auf die Schule beginnt nicht erst im Kindergarten, sondern schon nach der Geburt. Davon ist Pädagoge und Buchautor Detlef Träbert überzeugt: «Unser Umgang mit dem Kind in den ersten Lebensjahren fördert oder hemmt seine Entwicklung, was sich später auf den Schulerfolg auswirken kann.» Um ein Kind optimal zu fördern und auf das Lernen in der Schule vorzubereiten, brauche es keine Kurse im Vorschulalter, sondern vor allem Bezugspersonen, die Zeit mit ihm verbringen.

Konzentration und Intelligenz

In der Schule wird vom Kind erwartet, dass es stillsitzen und aufmerksam zuhören kann. Damit haben heute immer mehr Kinder Mühe. Die Konzentrationsfähigkeit können Eltern fördern, indem sie ihrem Kind bereits im Babyalter Bilderbücher zeigen, dazu erzählen und später, wenn es ein bisschen älter ist, vorlesen. Eine spannende Geschichte zu hören, spricht das Kind nicht nur emotional an. Es muss das Gehörte verarbeiten, sich mit der Geschichte auseinandersetzen, erhält inhaltliche Anregungen und erweitert sein Weltbild. Detlef Träbert dazu: «Vorlesen fördert die Fantasie und letztlich auch die Intelligenz.» Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass 50 bis 80 Prozent der Intelligenz ererbt sind und 20 bis 50 Prozent erlernt werden. «Ein Kind, das viele Anregungen durch Vorlesen erhält, kann seinen IQ um zehn Punkte erhöhen», ergänzt der Experte. Kinder, deren Eltern ihnen regelmässig Geschichten vorlesen, werden später selbst eher Bücher lesen. Ein gutes Leseverständnis wirkt sich auf den Erfolg in allen Schulfächern aus, selbst in Mathematik.

Freies Spielen

Intelligenz ist ein Produkt der Eigenaktivität. Detlef Träbert weiss: «Man kann Kinder nicht intelligenter machen, aber man kann ihnen Anregungen geben, damit sie intelligenter werden.» Besser als durch einen Förderkurs lässt sich die Intelligenz durch freies Spielen fördern. Kinder lernen zu denken, wenn sie ihre Denkfähigkeit in einem Spiel nutzen und sich zum Beispiel überlegen, wer im Rollenspiel welche Rolle übernehmen soll. Diese Fähigkeit entwickeln Kinder nicht vor dem Bildschirm. Untersuchungen haben gezeigt, dass der frühe Umgang mit digitalen Medien die Denkfähigkeit und die Kreativität eher hemmt.

Umgang mit Frust

Für den Schulerfolg ist eine hohe Frustrationstoleranz unabdingbar. Detlef Träbert empfiehlt Eltern, mit ihrem Kind schon früh Gesellschaftsspiele zu spielen. Er erläutert: «Bei ‹Mensch ärgere dich nicht› macht das Kind, wenn zu viert gespielt wird, die Erfahrung, dass das Risiko, zu verlieren, viel grösser ist als die Chance, zu gewinnen. Es lernt so spielerisch, mit Niederlagen umzugehen und die damit verbundenen Gefühle auszuhalten.» Wichtig ist, dass die Eltern geduldig bleiben, auch wenn das Kind anfangs Mühe hat mit dem Verlieren. Nicht sinnvoll ist es, wenn sie ihr Kind einfach gewinnen lassen. Eine hohe Frustrationstoleranz hilft dem Kind später, sich immer wieder aufzurappeln, wenn es in der Schule etwas nicht auf Anhieb versteht. Zudem können Kinder, die gelernt haben, zu verlieren, besser mit schlechten Noten umgehen und lassen sich nicht gleich entmutigen. Die Frustrationstoleranz erhöht sich auch, wenn das Kind lernt, dass seine Wünsche nicht immer sofort erfüllt werden, und es zum Beispiel bis zum nächsten Geburtstag warten muss, bis es ein neues Spielzeug erhält.

Motorische Entwicklung

Heute können viele Erstklässler keinen Purzelbaum schlagen, oder sie können nicht rückwärtsgehen oder länger auf einem Bein stehen. Detlef Träbert weiss: «Das hängt damit zusammen, dass sich Kinder heute kaum noch ohne Aufsicht von Erwachsenen im Freien austoben können.» Gründe dafür seien die Ängste der Eltern vor Gefahren wie zum Beispiel dem zunehmenden Verkehr sowie der Umstand, dass Kinder zahllose Stunden sitzend verbringen, wenn sie sich mit Bildschirmmedien beschäftigen. Das führe dazu, dass Kinder heute deutlich weniger motorische Erfahrungen machen, was sich auf ihre Geschicklichkeit und auch auf ihr Unfallrisiko auswirke. Der Fachmann ruft Eltern dazu auf, dafür zu sorgen, dass ihr Kind im Alltag möglichst vielfältige Bewegungserfahrungen machen kann.

Basis fürs Schreibenlernen

Schreiben setzt feinmotorisches Geschick voraus. Dieses erwerben Kinder nicht, indem sie am Smartphone oder am Computer auf bestimmte Tasten drücken oder an der Spielkonsole an einem Hebel ziehen. Bei diesen Aktivitäten sei oft nur der Daumen aktiv und nicht der ganze Körper, so Detlef Träbert. Fürs Schreiben müssen wir aber nebst allen Fingern in Koordination damit auch den Oberkörper bewegen können. Um die feinmotorischen Fähigkeiten von Kindern zu fördern, eignen sich im Babyalter Fingerspiele, bei denen die Eltern einen Vers aufsagen. Kleinkinder trainieren ihre Feinmotorik zum Beispiel durch Schattenspiele, bei denen sie mit Hilfe der Finger und einer Lichtquelle Tiere an die Wand projizieren. Basteln, Perlen aufziehen und Malen mit Fingerfarben, Pinsel oder Stiften fördern neben der Geschicklichkeit auch die Kreativität.

Die Sprache

Die Sprachgewandtheit von Schulanfängern nimmt seit Jahren ab. Detlef Träbert sieht den Hauptgrund dafür im Umstand, dass viele Eltern heute nur wenig mit ihren Kindern reden, weil sie zu sehr mit dem Smartphone beschäftigt sind oder in vielen Familien kaum mehr gemeinsam gegessen wird. Er ergänzt: «Miteinander reden ist der wesentliche Kommunikationskanal in unserem Leben.» Er ruft Eltern dazu auf, einander bei jeder Mahlzeit vom Tag zu erzählen, sich über Pläne für die nächsten Tage auszutauschen oder Kinder zum Beispiel schon früh in die Urlaubsplanung zu involvieren. Kinder, die viel mit ihren Eltern sprechen, hören im Vorschulalter mehrere Millionen Wörter mehr als Kinder, die sich kaum mit ihren Eltern unterhalten. Erstere können sich in der Schule sprachlich besser ausdrücken als Letztere.

Zeit schenken

Die Motivation, Neues lernen zu wollen, ist eine wichtige Basis für den Schulerfolg. Diese Motivation können die Eltern bei ihrem Kind von klein auf fördern, wenn sie ihm viel Zeit widmen und es auf dem Spaziergang zum Beispiel einen toten Käfer in aller Ruhe betrachten darf. Solche Momente regen das Kind dazu an, über etwas nachzudenken und mit seinen Eltern darüber zu reden. Das braucht jedoch Zeit. Können die Eltern sich diese nehmen, kann selbst ein Einkauf im Supermarkt eine spannende Erfahrung für das Kind sein. Leider unterdrücken viele Eltern die angeborene Neugierde ihres Kindes, weil sie zu oft in Eile sind.

Langeweile tut gut

Kinder, die keine prall gefüllte Agenda haben, klagen ab und zu über Langeweile. Detlef Träbert empfiehlt Eltern, das «Mir ist so langweilig» einfach mit der Aussage «Ja, Langeweile ist doof» zu quittieren. So vermitteln die Eltern dem Kind das Gefühl, dass es recht hat. Falsch wäre hingegen, wenn die Eltern in solchen Momenten mit allerlei Spielideen aufwarten oder selbst mit dem Kind spielen, nur damit ihm nicht mehr langweilig ist. Der Experte erklärt: «Langeweile ist die Voraussetzung dafür, eigene Ideen zu entwickeln. Sie ist die Voraussetzung für Kreativität und damit letztlich auch für Intelligenz.» Kinder, die Langeweile erfahren dürfen, lernen dabei auch, eigene Entscheidungen zu treffen.

Gute Frage?
Wie viel Medienkonsum ist okay?

Kinder unter zwei Jahren sollten keinen Zugang zu elektronischen Medien haben. Zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr liegt die Obergrenze bei 30 Minuten pro Tag (sämtliche Geräte zusammengezählt). Eine längere Beschäftigung mit Bildschirmmedien überfordert Kinder.

Buchtipp

Das Jahr vor dem Schulstart. Wie Eltern ihr Vorschulkind fördern können. Detlef Träbert, Dreieich (MEDU-Verlag), 2019. Das Buch enthält zahlreiche Anregungen, wie Eltern alle Fähigkeiten ihres Kindes im Alltag von klein auf spielerisch fördern können. Detlef Träbert hält auch in der Schweiz Vorträge.