Worte wirken Wunder

Wenn Kinder nicht das tun, was die Eltern von ihnen wünschen, hat das auch mit der Sprache zu tun.

Viele Eltern sind frustriert, wenn sie ihrem Kind gefühlte hundert Mal etwas sagen müssen, ohne dass es darauf reagiert. «Sprache hat immer eine Wirkung – die Frage ist nur, ob sie in die gewünschte oder in eine unerwünschte Richtung geht», weiss die Kommunikationsfachfrau Karin Schrag aus Bern. Sprache ist ein wirkungsvolles Instrument, mit dem Eltern ihr Familienleben massgeblich steuern und ihren Kindern den Boden für ein gelingendes Leben bereiten können. Stellt sich nun die Frage «Wie rede ich mit meinem Kind?»

Kurz und klar

Eltern nehmen sich oft das Recht heraus, ihr Kind zu tadeln oder wütend auf es zu sein – was ungünstige Folgen für sein Selbstbewusstsein hat. Gelingt es ihnen, in einem wohlwollenden Ton zu sprechen und ihre Wertschätzung auszudrücken, erhöht dies die Wirkung ihrer Worte und auch die Kooperationsbereitschaft des Kindes enorm. «Kinder brauchen Eltern, die sich ihnen zuwenden, präsent sind und aktiv zuhören», erklärt Karin Schrag. Am besten funktioniert die Kommunikation, wenn die Eltern ihr Kind bei der Kontaktaufnahme anschauen, ansprechen und eine kurze Atempause einlegen, bevor sie in einfachen und vollständigen Sätzen sprechen.

Sätze klug wählen

Wichtig ist auch, dass die Eltern im Gespräch mit ihrem Kind den richtigen Satztyp wählen. Wenn sie eine Aufforderung aussprechen wollen, verwenden sie am besten einen Aufforderungssatz, statt sie mit einer Frage zu tarnen. «Geh bitte ins Bett!» versteht das Kind besser als «Würdest du jetzt bitte ins Bett gehen?», und schliesslich erwarten die Eltern keine Zu- oder Absage.
Im Schweizerdeutschen hängen viele Eltern aus Gewohnheit am Schluss eines Aussagesatzes ein «Gell?» an, zum Beispiel «Beeil dich. Wir müssen gleich aus dem Haus, gell?». Dadurch suchen sie Bestätigung, die Aussage wird zu einer Frage. Das Kind bekommt den Eindruck, dass es wählen kann, ob es mitgeht oder nicht. «Wertschätzend sprechen heisst auch klar kommunizieren», sagt Karin Schrag.

Kriegsrhetorik vermeiden

Den meisten Eltern sind wahrscheinlich schon Sätze rausgerutscht wie «In deinem Zimmer sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen» oder «Abmarsch ins Bett!». Dieses Vokabular stammt aus Krieg und Kampf und sendet noch immer eine konfliktbehaftete Schwingung aus – auch wenn die Worte nicht so gemeint sind. Sie können beim Kind Widerstand erzeugen. Karin Schrag empfiehlt, auf Kriegsrhetorik zu verzichten und stattdessen günstigere Varianten zu wählen, etwa «Dein Zimmer sieht wie ein Dschungel aus» oder «Geh jetzt bitte sofort ins Bett!».

Grenzüberschreitungen vermeiden

Manchmal verwenden Eltern die Wir-Form, obwohl ihre Aussage nur das Kind betrifft, zum Beispiel «Wir gehen jetzt die Zähne putzen» oder «Wir gehen jetzt ins Bett». Wenn Eltern Aussagen machen wie «Wir können schon die Schuhe binden», beanspruchen sie einen Teil der Leistung, die das Kind erbracht hat, für sich. Karin Schrag sagt dazu: «In diesen Fällen ist ‹wir› eine subtile Grenzüberschreitung, die vom Kind auch wahrgenommen wird.» Doch das Kind ist das Kind, und die Eltern sind die Eltern. Das darf auch in der Sprache zum Ausdruck kommen. «Sprechen die Eltern von ‹wir›, wenn nur das Kind gemeint ist, dürfen sie sich nicht wundern, wenn Kinder die Grenzen nicht mehr erkennen und daher auch nicht respektieren», ergänzt die Kommunikationsexpertin.
Wenn die Mutter oder der Vater im Beisein des Kindes oft von «meinem» Kind spricht, nimmt das Kind den Besitzanspruch der Eltern durchaus wahr. Besser ist es, das Kind stattdessen einfach beim Namen zu nennen.

Botschaft stärken

Füllwörter wie «eigentlich», «vielleicht», «irgendwie», «womöglich» oder «möglicherweise» schwächen eine Botschaft deutlich – sie sind unnötig. Wer viele Füllwörter benutzt, vermeidet unbewusst, die Dinge klar beim Namen zu nennen. Karin Schrag empfiehlt Eltern, sich Füllwörter abzugewöhnen: «Damit das klappt, müssen wir uns dieser Wörter erst bewusst werden und realisieren, dass sie unsere Aussagen schwammig statt klar machen.» Die Änderung des Sprachgebrauchs setze Geduld mit sich selbst und auch etwas Durchhaltevermögen voraus.
Eine weitere Möglichkeit, eine Botschaft zu verstärken, ist der Verzicht auf den Gebrauch des Konjunktivs II oder Irrealis. «Ich möchte, dass du jetzt dein Zimmer aufräumst» mag zwar höflich erscheinen, aber die Aussage ist schwach. Wenn Eltern wollen, dass ihre Aussage eine Wirkung hat, sagen sie lieber «Bitte räum jetzt dein Zimmer auf». Auch «Wir könnten morgen ins Freibad gehen» klingt unverbindlich. Auf die Aussage «Wenn morgen die Sonne scheint, will ich mit euch gern ins Freibad gehen» kann sich das Kind hingegen verlassen.

Positive Aussagen

Unser Hirn denkt in Bildern und ignoriert das Wort «nicht». Wenn Eltern ihrem Kind zurufen: «Renn nicht auf die Strasse!», entsteht im Hirn des Kindes das Bild von jemandem, der auf die Strasse läuft. Eltern zeichnen mit solchen Aussagen ein Bild genau jener Situation, die sie vermeiden wollen. «Bilder sind kraftvoll und haben die Tendenz, Wirklichkeit zu werden», erklärt Karin Schrag. Sie empfiehlt Eltern deshalb, positiv zu formulieren und vom erwünschten Resultat zu sprechen, beispielsweise «Bleib auf dem Trottoir!». Eine positive Sprache wirkt auf das Kind ermutigend. Auf dem Spielplatz sind Aussagen wie «Ich sehe, dass du dich gut festhältst und gut kletterst» deshalb besser als «Pass auf, dass du nicht runterfällst».

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Mit der Sprache zu mehr Gelassenheit

Wir setzen uns durch unsere Sprache im Alltag mehr unter Druck, als uns lieb (und bewusst) ist. Wenn wir beispielsweise ständig «Ich muss noch abwaschen» oder «Ich muss noch Wäsche aufhängen» sagen, scheidet unser Körper Stresshormone aus. Das Verb «müssen» gibt uns das Gefühl, nicht selbst entscheiden zu dürfen, fremdbestimmt zu sein. Besser ist es, den Stressmacher «Ich muss» einfach wegzulassen: «Ich mache jetzt den Abwasch» oder «Ich werde jetzt abwaschen». Diese kleine Massnahme kann helfen, dass wir uns wieder selbstbestimmt und gelassener fühlen.

Webtipp

Unter www.karinschrag.com/eltern finden Sie wertvolle Informationen und Online-Trainings für Eltern, die Sie dazu befähigen, wertschätzend und wirkungsvoll mit Ihren Kindern zu kommunizieren.