Die wichtigsten Tipps, um Schreibabys zu beruhigen

Schreibabys

Wenn ein Baby viel schreit, geraten Eltern an ihre Grenzen. Die Psychologin Elke Romano-Koch erklärt, was Eltern über das Schreien wissen müssen.

Wie entwickelt sich das exzessive Schreien?

Elke Romano-Koch, Psychologin, Sprechstunde für Säuglinge mit Regulationsstörungen am Stadtspital Triemli in Zürich

In der Regel nimmt das Schreien ab der der zweiten Lebenswoche zu und erreicht zwischen der sechsten und achten Woche den Höhepunkt. Etwa 16 bis 29 Prozent der Säuglinge sind Schreibabys, also Babys mit einer Regulationsstörung. Mit drei Monaten reduziert sich das Schreien deutlich. Ab dem sechsten Monat schreien nur noch 2.5 Prozent der Babys viel.

Welches sind die Ursachen für das exzessive Schreien?

Betroffene Babys haben Mühe, sich zu entspannen und einen Schlaf-wach-Rhythmus zu finden. Sie nehmen Reize im Alltag intensiv wahr, sind schnell überreizt und können nicht gut abschalten und einschlafen. Doch die Aufnahmefähigkeit von jungen Säuglingen ist beschränkt, und sie brauchen viele Ruhephasen. Oft schreien sie abends zwischen 17 und 22 Uhr am meisten und sind auf eine feinfühlige Unterstützung durch die Eltern angewiesen. Diese sind aber selbst müde, und das Schreien irritiert.

Kann exzessives Schreien auch andere Gründe haben?

Ja, wir wissen, dass Stress, Drogen-, Alkohol- und Nikotinkonsum in der Schwangerschaft, Geburtskomplikationen, eine Frühgeburt und eine postpartale Depression die Irritabilität des Babys erhöhen können. Auch eine belastende Lebenssituation, wie Partnerschaftskonflikte, können das Schreien fördern.

Weshalb ist es für Eltern so schwierig, das Schreien auszuhalten?

Schreien aktiviert ihr Stresssystem, damit sie möglichst schnell herausfinden, was dem Baby fehlt. Gelingt es den Eltern, ihr Kind zu beruhigen, stärkt dies ihr Vertrauen in ihre Kompetenz. Klappt es nicht, sind sie verunsichert. Oft entsteht dann ein Teufelskreis: Die Eltern fühlen sich hilflos und die Anspannung steigt. Das verhindert, dass sie beruhigend auf ihr Baby einwirken können. Besonders belastend ist die Situation, wenn die Mutter nicht vom Partner, ihrer Familie oder Freunden unterstützt wird. Negative Bindungserfahrungen, psychische Erkrankungen und Stress können dazu führen, dass Eltern das Schreien kaum ertragen.

Schreien Babys, um ihre Eltern zu ärgern?

Nein, dazu sind sie in den ersten Monaten nicht fähig. Ein Baby schreit nur, wenn es ein Bedürfnis hat und sein Unwohlsein allein nicht regulieren kann. Eltern sollten des-halb versuchen, herauszufinden, ob es hungrig ist, Zuwendung braucht, eine volle Windel, heiss oder kalt hat, an Schmerzen leidet oder einfach den Schlaf nicht findet. Das Baby soll spüren, dass sich die Eltern um es kümmern und den Stress mit ihm aushalten.

Was hilft Schreibabys?

Ein geregelter Tagesablauf trägt dazu bei, dass sie ihren Schlaf-wach-Rhythmus schneller finden. Das schützt sie vor Übermüdung. Tagsüber sollten die Wachphasen nicht zu lang sein. Am besten bringen Eltern ihr Baby bei den ersten Anzeichen von Müdigkeit oder nach einer längeren Wachzeit in einen abgedunkelten Raum und bleiben bei ihm, bis es einschläft.

Wie können Eltern ihr schreiendes Kind beruhigen?

Viele Babys beruhigen sich, wenn sie im Tragetuch herumgetragen werden oder durch sanftes Wiegen. Dabei sollten die Eltern ihrem Kind die volle Aufmerksamkeit schenken, also weder am Handy sein noch lesen. Das Einwickeln mit angelegten Armen, Pucken genannt, kann dem Baby Halt geben. Hilfreich ist auch, wenn die Eltern in ruhigem Ton mit ihm sprechen, singen oder Sch-Laute von sich geben, die das Kind an die Geräusche im Mutterleib erinnern. Saugen am Nuggi, am Finger oder an der Brust wirkt ebenfalls beruhigend. Eltern sollten ihrem Kind Zeit lassen, auf eine Massnahme zu reagieren, statt in Aktionismus zu verfallen. Mutter und Vater sollten nicht zusammen versuchen, das Baby zu beruhigen, sondern sich dabei abwechseln.

Was empfehlen Sie Eltern, die an ihre Grenzen kommen?

Sie sollten sich früh Hilfe in der Familie, bei Freunden oder Fachpersonen holen. Das ist keine Schwäche. In Afrika gibt es das Sprichwort: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen. Grosseltern und Freunde können Eltern wichtige kurze Auszeiten ermöglichen. Manchmal reicht eine Dusche in Ruhe, eine Tasse Tee, ein kurzer Spaziergang, Sport oder ein Treffen mit einer Freundin, um Kraft zu tanken.
Der Kinderarzt kann körperliche Ursachen für das Schreien ausschliessen. Er, die Mütterberaterin oder Hebamme kann die Eltern an eine Sprechstunde für Säuglinge mit Regulationsstörungen überweisen.

Was empfehlen Sie Eltern bei Alarmstufe Rot?

Wenn sie spüren, dass sie sich nicht mehr kontrollieren können, legen sie ihr Baby ins Bettchen und verlassen den Raum kurz, um sich zu beruhigen. Im Notfall können die Eltern tagsüber auch ihren Kinderarzt oder, ausserhalb der Sprechzeiten, eine Kindernotfallstation im Spital aufsuchen. Auf keinen Fall sollten Eltern ihr Kind schütteln, da dies zu einem Schädel-Hirn-Trauma mit lebenslanger Behinderung oder zum Tod führen kann.

Wie viel Schreien ist normal?

In den ersten zwei bis drei Monaten sind bis zu drei Stunden pro Tag normal. Wenn ein Baby mindestens drei Stunden täglich an mindestens drei Tagen pro Woche mindestens drei Wochen lang schreit, spricht man von exzessivem Schreien. In der Praxis jedoch gilt das Schreien als exzessiv, wenn es von seinen Eltern als solches empfunden wird.

Hilfe für Eltern von Schreibabys
Auf der Website des Vereins Schreibabyhilfe www.schreibabyhilfe.ch finden Eltern von Schreibabys hilfreiche Informationen und Adressen.
Der Elternnotruf ist unter 0848 35 45 55 rund um die Uhr erreichbar.