Zehn Fragen zum Wachstum

Wachstum

Im Interview beantwortet der Spezialist Udo Meinhardt die wichtigsten Fragen zum kindlichen Wachstum.

Fragen zum Wachstum

PD Dr. med. Udo Meinhardt, Spezialist für Wachstumsfragen, Dübendorf, klein-gross.ch

Warum ist es wichtig, das Wachstum des Kindes regelmässig zu überprüfen?

Das Wachstum eines Kindes zeigt an, ob es gesund ist und sich gut entwickelt. Diverse Krankheiten und Störungen können das Wachstum beeinträchtigen, ohne sich durch weitere Symptome bemerkbar zu machen.
Die Fachgesellschaft pädiatrie schweiz empfiehlt diverse Vorsorgeuntersuchungen, bei denen die Grösse des Kindes gemessen wird. Im ersten Lebensjahr rät sie zu Kontrollen im Alter von 1, 2, 4, 6, 9 und 12 Monaten. Im zweiten Jahr wird eine Messung mit 18 und die zweite mit 24 Monaten empfohlen. Weitere Kontrollen erfolgen mit 3 und 4 Jahren. Danach werden die Abstände grösser und Messungen nur noch im Alter von 6, 10, 12 und 14 Jahren empfohlen.

Wie verläuft das normale Wachstum?

Es gliedert sich in drei Phasen. In der ersten Phase zwischen 0 und 5 Jahren wächst das Kind sehr schnell. Anfänglich sind es in dieser Zeit etwa 11 cm pro Jahr, unabhängig vom Geschlecht. Gegen Ende dieser Phase sind es 6 cm pro Jahr. In diesem Alter ist es nicht einfach, die Grösse eines Kindes zu messen. Die Eltern dürfen dies der Kinderärztin oder dem Kinderarzt überlassen.
In der zweiten Phase gibt es zwischen Mädchen und Jungen einen leichten Unterschied in der Geschwindigkeit des Wachstums. Bei Mädchen geht sie im Alter zwischen 5 und 10 Jahren von 6 auf 5 cm pro Jahr zurück, bei Jungen im Alter zwischen 5 und 11 Jahren von 6 auf 4 cm. Es gilt: Je später ein Kind in die Pubertät kommt, desto mehr nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit ab. Da in dieser zweiten Phase nur wenige Vorsorgeuntersuchungen empfohlen werden, sollten die Eltern die Grösse ihres Kindes bis zur Pubertät einmal pro Jahr selbst messen.
In der Pubertät kommt es zu einem regelrechten Wachstumsspurt. Die Wachstumsgeschwindigkeit steigt stark an, bevor sie mit dem Abschluss der Pubertät wieder abfällt. Jungen zwischen 11 und 17 Jahren wachsen 9 bis 10 cm jährlich und erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 10–15 cm pro Jahr. Bei Mädchen ist die Wachstumsgeschwindigkeit kurz vor der ersten Menstruation am höchsten. Sie wachsen etwa 8 cm pro Jahr. Danach wachsen sie nur noch zwei Jahre lang: Bei kleineren Mädchen kommen noch 5 bis 6 cm und bei grösseren noch 7 bis 8 cm dazu.
Bis zum dritten Geburtstag ist es nicht aussergewöhnlich, dass die Grösse eines Kindes die Perzentile wechselt. Danach sollte das Wachstum aber bis zur Pubertät innerhalb des genetisch bestimmten Perzentilenkanals erfolgen.

Wie lange wachsen Mädchen und Jungen?

Im Durchschnitt sind Mädchen bereits mit 15 Jahren ausgewachsen. Bei Jungen kommt es meist mit 17 Jahren zum Wachstumsstopp. Die geschlechtsspezifische Entwicklung des Wachstums führt dazu, dass Jungen grösser werden als Mädchen.

Wodurch wird das Wachstum bestimmt?

Bei einem gesunden Kind sind die Gene, also die Grösse und die Pubertätsentwicklung der Eltern, die wichtigsten Einflussfaktoren. Es spielt also eine Rolle, ob die Eltern eher Früh- oder Spätentwickler waren. Spätentwickler wachsen in den ersten Jahren entlang einer niedrigen Perzentile, holen später aber auf, weil sie länger Zeit zum Wachsen haben. Die Gene steuern die Ausschüttung diverser Hormone, die am Wachstum beteiligt sind. Dazu gehören unter anderen das sogenannte Wachstumshormon sowie die Nebennieren- und Schilddrüsenhormone.
In den ersten zwei Lebensjahren wird das normale Wachstum stark von der Ernährung beeinflusst. Auch später ist die Ernährung wichtig, damit das Kind sein genetisches Wachstumspotenzial ausschöpfen kann. Daraus zu schliessen, dass man ein kleines Kind durch bessere Ernährung grösser werden lassen könnte, wäre jedoch falsch.
In der Pubertät wird das Wachstum zudem von den Geschlechtshormonen, dem Östrogen und dem Testosteron, beeinflusst.

Welche Faktoren können das Wachstum hemmen?

Das Wachstum kann durch diverse Krankheiten, bestimmte Medikamente, eine starke psychische Belastung oder durch Leistungssport beeinträchtigt werden. Treibt ein Kind mehr als 12 bis 15 Stunden pro Woche Sport, kann dies auf Kosten des Wachstums gehen.
Jede Krankheit kann das Wachstum hemmen. Ist sie von kurzer Dauer, kommt es danach zu einem Aufholwachstum. Diverse chronische Erkrankungen hingegen führen langfristig zu Kleinwuchs, einige zu Grosswuchs. Dasselbe trifft auch auf einige Medikamente zu.
Grundsätzlich gilt, dass man jeder Abweichung vom bisherigen Perzentilenkanal nach dem dritten Geburtstag auf den Grund gehen muss.
Bei Kindern, die sich spät entwickeln, sollte man das Wachstum besonders gut im Auge behalten.

Wie gross wird unser Kind?

Rechnerisch kann man die sogenannte elterliche Zielgrösse für ein Kind berechnen. Dieser Wert zeigt an, welche Grösse Mädchen oder Jungen mit den gleichen genetischen Voraussetzungen im Durchschnitt erreichen. Eine Abweichung von bis zu 6,5 cm liegt im Normbereich. Bei grösseren Abweichungen ist eine ärztliche Konsultation angezeigt.
Für ein gesundes Kind lässt sich zudem anhand eines Röntgenbildes der linken Hand eine Wachstumsprognose stellen. Bei der Prognose werden die Grösse der Eltern, die aktuelle Grösse des Kindes und das Knochenalter, das sich anhand der Röntgenaufnahme berechnen lässt, einbezogen.

Unser Kind war, bezogen auf die Schwangerschaftswoche, bei der Geburt zu klein. Wird es diesen Rückstand aufholen?

In etwa 90 Prozent der Fälle holen betroffene Kinder auf. Das Aufholwachstum ist genetisch vorgegeben und kann weder durch die Ernährung noch durch andere Faktoren beeinflusst werden.
Jedes Kind, das bei der Geburt zu klein und/oder zu leicht war, muss im Alter von 4 Jahren von einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt beurteilt werden, um zu kontrollieren, ob ein Aufholwachstum stattgefunden hat. Ist dies nicht der Fall, ist eine Therapie möglich. Auch bei jenen Kindern, die den Rückstand aufgeholt haben, sollten die Eltern das Wachstum überwachen. Sowohl bei zu langsamem als auch bei zu schnellem Wachstum sollten sie sich an eine kinderärztliche Praxis wenden.

Unser Kind ist viel kleiner als Gleichaltrige. Braucht es eine Abklärung?

Sind beide Eltern oder ein Elternteil klein, wird auch das Kind eher klein bleiben. Entscheidend ist, ob es im elterlichen Zielbereich wächst. Trifft dies zu, braucht es keine Abklärung. Wenn das Wachstum eines Kindes aber abflacht und es nach dem dritten Geburtstag plötzlich entlang einer niedrigeren Perzentile wächst, sollten die Eltern ihre Kinderärztin oder ihren Kinderarzt konsultieren.

Worauf müssen wir achten, wenn wir die Grösse unseres Kindes messen?

Die Grösse des Kindes sollte immer etwa zur gleichen Tageszeit, am besten morgens oder abends, gemessen werden. Dafür braucht es einen Türrahmen sowie ein grosses, dickes Buch oder ein grosses Geodreieck. Wer eine Messlatte an die Wand montiert, muss darauf achten, dass der Nullpunkt tatsächlich bei null liegt. Das Kind sollte barfuss und gerade stehen, die Fersen müssen den Boden und die Waden den Türrahmen berühren, die Beine durchgestreckt, der Kopf aufgerichtet und die Schultern nach hinten positioniert sein. Das Kind muss sich aber nicht speziell gross machen. Steht es korrekt da, hält man das Buch oder das Geodreieck auf den Scheitel, so dass es den Türrahmen berührt.

Was hilft bei Wachstumsschmerzen?

Die unter dem Begriff Wachstumsschmerzen bekannten Schmerzen, die typischerweise im Alter zwischen 5 und 10 Jahren abends oder nachts an den Knien oder Unterschenkeln auftreten, werden nicht vom Wachstum verursacht. Die Schmerzen treten nämlich in einer Phase auf, in der Kinder relativ langsam wachsen. In der Pubertät, also der Lebensphase mit dem stärksten Wachstumsspurt, leiden Kinder nicht mehr an diesem Problem.
Bis heute ist nicht bekannt, woher die Schmerzen rühren. Deshalb kann man nicht die Ursache, sondern lediglich die Symptome behandeln. Hilfreich sind massieren, salben, beruhigen, ablenken, bewegen, wärmen oder kühlen, je nachdem, was das Kind als angenehm empfindet. Nach Rücksprache mit der Kinderärztin oder dem Kinderarzt darf man dem Kind auch mal ein Schmerzmittel geben.
Treten die Schmerzen wiederholt oder zusammen mit einer Schwellung, Rötung oder Überwärmung auf, muss das Kind ärztlich untersucht werden, weil dahinter andere Ursachen stecken können.
Häufig leiden Kinder nach einem anstrengenden Tag an Wachstumsschmerzen. Vorbeugend wirken können Vitamin D und Magnesium.

Grösse des Kindes berechnen

Mädchen: Grösse Mama + Grösse Papa geteilt durch 2 minus 6.5 cm
Jungen: Grösse Mama + Grösse Papa geteilt durch 2 plus 6.5 cm
Eine Abweichung von +/- 6.5 cm ist normal.

Info

Perzentilen

Eine Perzentile ist eine Prozentangabe, die anzeigt, wie gross ein Kind im Vergleich zu seinen Altersgenossen ist. Liegt seine Körpergrösse zum Beispiel auf der 3. Perzentile, bedeutet dies, dass 3 Prozent der gleichaltrigen gesunden Kinder kleiner sind und 97 Prozent grösser. Gleich verhält es sich bei der Gewichtskurve.

Link Artikel Zu klein bei der Geburt

Der Beitrag erscheint mit freundlicher Unterstützung von Novo Nordisk PHarma AG, 8058 Zürich, CH23GH00004

Filed under: deutsch, Gesundheit

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Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.