Wie Kinder aufräumen lernen

Gerne breiten sich Kleinkinder nicht nur in ihrem Zimmer, sondern auch im Wohnzimmer und in der Küche aus – zum Ärger vieler Eltern. Wie Eltern ihre Kinder zum Aufräumen animieren können, erklärt Sarah Zanoni, Erziehungsberaterin und Buchautorin.

Sarah Zanoni, Kinder- und Jugendcoach, Pädagogische Psychologin und Buchautorin

Wenn Kleinkinder spielen, entsteht schnell eine grosse Unordnung. Warum?

Kinder in diesem Alter lieben es, verschiedene Spielsachen und Materialien hervorzuholen, und stören sich überhaupt nicht daran, im Chaos zu spielen. Kleinkinder haben noch keinen Sinn für Ordnung, wie wir Erwachsene sie verstehen. Sie versorgen ihre Kleider nicht oder stellen ihre Zahnbürste nicht ins Glas, kurzum, sie lassen alles dort liegen, wo es gerade hinfällt. Solche Dinge erledigen Kinder nicht von sich aus, sie müssen erst erlernt werden.

Weshalb kommt es in Familien immer wieder zu Diskussionen, wenn es ums Aufräumen geht?

Ein wichtiger Grund ist, dass Kleinkinder andere Bedürfnisse haben als Erwachsene: Der Ort, an dem Kinder sich beim Spielen am wohlsten und am sichersten fühlen – zum Beispiel im Wohnzimmer, wo ihre Eltern jederzeit hör- und sichtbar sind –, ist oft derselbe Ort, den Erwachsene zum Vorzeigen gern aufgeräumt haben möchten. Dieser Anspruch ist nicht kindgerecht und führt zu unnötigem Stress. Immerhin dauert diese Phase bloss vier, fünf Jahre. Ab dem Kindergartenalter ziehen Kinder sich immer öfter zum Spielen ins Zimmer zurück oder möchten mit anderen Kindern draussen spielen.

Welche Erwartungen können Eltern in Bezug auf das Aufräumen an ihr Kind haben?

Nicht zu hohe. Ein dreijähriges Kind ist zum Beispiel noch nicht in der Lage, ein Zimmer selber aufzuräumen.

Ab welchem Alter ist es denn sinnvoll, Kindern das Aufräumen beizubringen?

So früh wie möglich. Kleine Kinder lieben es, in die «richtigen» Aufgaben des Alltags einbezogen zu werden. Sie fühlen sich dadurch «gross» und entwickeln ein gesundes Selbstvertrauen. Schon ein eineinhalbjähriges Kind kann seine Windel in den dafür vorgesehenen Eimer werfen – und macht dies mit grossem Spass. Die meisten Kinder sind dann motorisch bereits in der Lage, herumliegende Spielsachen mit Mama oder Papa gemeinsam wegzuräumen. Am besten klappt es mit dem Aufräumen, wenn man daraus ein Spiel oder ein Ritual macht. Nur damit nachher Ordnung herrscht, ist das für Kinder noch lange kein Grund, alle Spielsachen wegzuräumen. Eltern sollten lieber einmal fünf gerade sein lassen und stattdessen mehr mit ihrem Kind spielen.

Was gilt es zu bedenken?

Kinder können nicht mehr als drei Aufgaben zugleich ausführen. Je kleiner das Kind, desto weniger Aufträge aufs Mal! Also: Kinder bis drei Jahre können erst eine, bis Vierjährige zwei und ältere drei Aufgaben aufs Mal erledigen. Ist ein Kind sehr lebhaft oder verträumt, so ist es ratsam, ihm immer nur eine Aufgabe auf einmal zu stellen.

Wie lernt das Kind, einen Aufräumauftrag auszuführen?

Kein Kind will beim Spielen unterbrochen werden. Deshalb ist es sinnvoll, eine Ankündigung mit zeitlicher Limite zu machen: «Wenn die Eieruhr klingelt, musst du dein Malzeug wegräumen, die Hände waschen und die Malschürze aufhängen. Bis dahin darfst du weitermalen.» Fürs Aufräumen mit Kleinkindern sind kindgerechte Schubladen oder Boxen empfehlenswert. Diese sollten leicht zu öffnen sein. Sie sollten sich in Reichweite des Kindes befinden, also möglichst weit unten. Es ist einfacher, wenn alle Spielsachen in die gleiche Box gefüllt werden dürfen, als wenn akribisch sortiert werden muss. Ideal ist zum Beispiel das Ordnen nach Büchern, nach weichen und harten Spielsachen.

Wie können Eltern weiter motivieren?

Kinder wollen für ihr Tun aufrichtig gelobt werden. «Toll, Bianca, wie du das ganze Puppengeschirr versorgt hast!» ermutigt viel mehr, als wenn es heisst: «Ach, Bianca, kannst du nicht endlich auch noch deinen restlichen Kram wegschaffen?!» Sinnvoll sind auch Anreize wie zum Beispiel: «Wenn wir alles aufgeräumt haben, erzähle ich dir eine Geschichte.»

Was wäre kontraproduktiv?

Zynismus und übertriebene Strenge. Jedes Kind hat sein Arbeitstempo, genau wie Erwachsene. Viele Eltern wollen, dass ihr Kind null Komma plötzlich aufräumt. Ist dies nicht der Fall, sehen solche Eltern gleich rot und reagieren laut oder übertrieben streng. Dies führt zu unnötigen Spannungen. Besser: mit dem Kind einen Zeitpunkt vereinbaren, bis zu dem etwas aufgeräumt sein muss.

Welche Folgen hat es, wenn Eltern immer alles selber aufräumen?

Das Kind lernt, dass Aufräumen offenbar nicht zu seinen Aufgaben gehört. Es kann getrost etwas anderes tun, seine Eltern machen ja alles wieder schön ordentlich. Kinder, die so aufwachsen, werden eher mit Verweigerung reagieren, wenn sie später ein richtiges Ämtli übernehmen sollen.

Was passiert, wenn Eltern selber unordentlich sind?

Ihr Kind wird davon ausgehen, dass dies so sein muss. Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso chaotisch werden wie Mama und Papa. Dies ist allerdings keine gute Voraussetzung für Kindergarten und Schule, wo Ordnung halten dazugehört.

Aufräumen – am besten einmal täglich

Kinder sprechen gut auf Rituale und Routine an. Deshalb ist tägliches gemeinsames Aufräumen sinnvoller als einmal in der Woche eine grosse Putzaktion. Für ein ritualisiertes Aufräumen eignet sich etwa die Zeit zwischen Nachmittagsaktivität und Nachtessen. Das Kind sollte noch nicht zu müde und auch nicht zu hungrig sein. Beides macht nämlich schlechte Laune und vermindert die Bereitschaft mitzuhelfen.

Ideen, die das Aufräumen erleichtern:

  • Spass macht den ganz Kleinen, ihre Klötzchen, Plastikwürfel, Bälle in einen Puppenwagen oder einen Lastwagen zu füllen, damit herumzufahren und den Inhalt zuletzt in die dafür vorgesehene Schublade zu kippen.
  • Machen Sie einen Wettlauf: «Wer hat wohl schneller aufgeräumt – du oder ich?»
  • Lassen Sie Ihr Kind auswählen: «Willst du die Klötze, die Autos oder die Bücher aufräumen?» Mama oder Papa erledigt dann den Rest.
  • Spielen Sie Detektiv: Wir gehen in der Wohnung herum und suchen zuerst nur herumliegende Legosteine. Danach Figürchen, dann Autos etc. Dazu verkleiden wir uns mit Hut, Fernrohr (leere WC-Papier-Rolle) und grosser Tasche (um das Gefundene darin zu verstauen).

Wichtig: Für solche Aufräumaktionen muss genügend Zeit eingeplant werden.