Aus den meisten Haushalten in der Schweiz ist der Fernseher nicht mehr wegzudenken. Die Frage, ab wann, wie viel und was Kinder sehen dürfen, verunsichert jedoch viele Eltern.
Heute gibt es immer mehr Fernsehstationen, die Programme speziell für die Kleinsten anbieten. TV-Programme wie zum Beispiel «Baby-Einstein» implizieren allein schon durch den Namen, dass sie Babys schlau machen. Doch ist das tatsächlich so? Die meisten Wissenschaftler sind sich in dieser Frage einig. Prof. Manfred Spitzer vom Universitätsklinikum in Ulm hat zahlreiche Studien analysiert und kommt zu folgendem Schluss: «Elektronische Medien sind dem Lernen und damit der geistigen Entwicklung von Babys abträglich!» Spitzer erklärt dies so: «Babys verbringen den Hauptteil ihres Lebens mit Schlafen. Wenn sie dann für einen wesentlichen Teil ihrer wachen Zeit einem Medium ausgesetzt werden, von dem sie – im Gegensatz zur wirklichen Welt mit wirklichen Menschen – nichts lernen können, dann lernen sie insgesamt eben weniger.»
Was Babys und Kleinkinder beim Fernsehen verstehen
Setzt man Kinder unter zweieinhalb Jahren vor die Mattscheibe, schauen viele zwar hin. Sie können aber keine Verbindung zwischen wechselnden Perspektiven herstellen und verstehen zum Beispiel nicht, wenn Szenen durch Schneiden aneinandergereiht werden. Die vielen Bilder und Töne können bei Babys sehr schnell zu einer Reizüberflutung führen. Sie reagieren mit Unruhe, weil vieles vom Gesehenen unbewältigt in ihren Köpfen zurückbleibt. Erst im Alter von fünf bis sechs Jahren entwickeln Kinder die Fähigkeit, zwischen Wirklichkeit und filmischer Illusion zu unterscheiden. Einfache Handlungszusammenhänge verstehen sie erst mit sieben Jahren.
Fördert Fernsehen die Sprachentwicklung des Kindes?
Manche Eltern hoffen, dass Fernsehen ihr Kind beim Spracherwerb unterstützt. Auch hier ist das Urteil diverser Studien ernüchternd. Eine Studie der University of Washington hat die Auswirkungen des Medienkonsums auf die Sprachentwicklung bei Kindern unter zwei Jahren untersucht und kommt zum Schluss, dass Kinder, die oft Baby-TV oder Baby-DVDs schauen dürfen, über einen kleineren Wortschatz verfügen als Kinder, die nicht fernsehen dürfen. Hilda Geissmann, Logopädin am Kinderspital Zürich, dazu: «Heute wissen wir, dass der Spracherwerb bei kleinen Kindern nur im direkten Kontakt mit anderen Menschen gefördert werden kann. Kinder brauchen Eltern und Bezugspersonen, die ihnen zuhören und gerne mit ihnen sprechen. So ist es zum Beispiel hilfreich, mit dem Kind von klein auf über gemeinsam Erlebtes zu reden, ihm Geschichten zu erzählen, Kinderverse anzubieten und Lieder zu singen.»
Wie Fernsehen sich langfristig aufs Kind auswirkt
Die kanadische Wissenschaftlerin Linda Pagani aus Montreal hat die Spätfolgen des Medienkonsums bei Kindern untersucht, die im Kleinkindalter viel fernsehen durften. Dabei hat sie den Fernsehkonsum von 1314 Kindern im Alter von 29 und 53 Monaten sowie von 10 Jahren analysiert. Pagani hat festgestellt, dass Kinder, die im Vorschulalter viel fernsehen durften, sich später im Schulunterricht weniger engagierten, mehr Probleme in der Mathematik hatten, eher gemobbt wurden, körperlich weniger aktiv waren, mehr Limonade und Snacks konsumierten und einen höheren Body-Mass-Index hatten als Kinder, die wenig Zeit vor der Glotze verbrachten.
Fernsehverbot – ja oder nein?
Fernsehen macht aus unseren Kindern keine kleinen Einsteins. Doch soll man Kindern das Fernsehen verbieten? Dazu Prof. Daniel Süss, Psychologe und Medienpädagoge an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität Zürich: «Von einem Fernsehverbot rate ich ab. Denn das Fernsehen ist an sich ein wertvolles Medium, das einen Teil unserer Kultur ausmacht. Kinder mit TV-Verbot schauen oft einfach bei Freunden fern. Das Risiko ist gross, dass sie sich dann Sendungen anschauen, die nicht für ihr Alter geeignet sind, und das zu Hause verschweigen.»
Wie viel ein Kind fernsehen darf, ist eine Frage des Masses
Kann Fernsehen auch positiv sein? Prof. Süss sagt: «Für Kleinkinder sind Trickfilme oder Tierfilme auf DVD geeigneter, weil sie dabei gewisse Sequenzen immer wieder anschauen und dann unterbrechen können, wenn sie eine Pause brauchen. Gute Kindersendungen können die Phantasie des Kindes anregen, altersgerechte Identifikationsfiguren anbieten und zu Spiel- und Bastelideen führen. Negative Effekte des Fernsehens muss man nicht befürchten, wenn man die Kinder nicht allein vor dem Bildschirm sitzen lässt, die Fernsehzeit limitiert und den Kindern eine anregende Spiel- und Lernumgebung bietet und viel Aufmerksamkeit schenkt.»
Haben Sie gewusst, dass Sie Fernsehen nie als Belohnung oder Bestrafung einsetzen sollten?
Erziehungsexperten raten davon ab, damit Kinder nicht den Eindruck gewinnen, fernsehen zu dürfen sei etwas besonders Erstrebenswertes.
Tipps zum Medienkonsum
Fachpersonen empfehlen:
- Wählen Sie dem Alter Ihres Kindes entsprechende Medien und Programme sorgfältig aus.
- Schauen Sie Medien oder Videos zusammen mit Ihrem Kind an.
- Kommentieren und diskutieren Sie den Inhalt mit Ihrem Kind.
- Kinder unter zwei Jahren sollten nicht fernsehen. Beschränken Sie den Medienkonsum für Kinder zwischen drei und fünf Jahren auf maximal eine halbe Stunde pro Tag.
- Setzen Sie Fernsehen nie als Erziehungsmittel ein, weder zur Belohnung noch zur Bestrafung.
- Lassen Sie Ihr Kind auf keinen Fall Filme mit Gewaltszenen anschauen.
- Bildschirmmedien gehören nicht ins Kinderzimmer.
- Für Kinder geeignete Sendungen finden Sie unter www.flimmo.de.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.