Eifersucht zwischen Geschwistern

Geschwisterbeziehungen sind die längsten im Leben eines Menschen. Eltern können viel zu einer konstruktiven und tragfähigen Beziehung zwischen ihren Kindern beitragen. Wie das gelingt, erklärt die Erziehungsberaterin und STEP-Trainerin Liselotte Braun.

Viele Kinder reagieren bei der Geburt eines Geschwisters mit Eifersucht. Was können die Eltern tun, damit sich dieses Gefühl legt?

Liselotte Braun, individualpsychologische Beraterin und zertifizierte STEP-Kursleiterin

Die meisten Kinder reagieren auf das neugeborene Geschwister mit Eifersucht. Jedes Kind hat aber seine Art, mit der Eifersucht umzugehen. Die einen bemuttern und umsorgen das Baby übermässig. Andere plagen es und wollen es einfach weghaben. Oft ist es für die Eltern kaum erkennbar, was ihr Kind bewegt. Alles Schimpfen, Ermahnen und Bestrafen verstärkt und verfestigt das schwierige Verhalten des eifersüchtigen Kindes. Gerade diese Kinder brauchen viel Verständnis und wollen von den Eltern in den Arm genommen werden. Durch gemeinsames Beobachten und Pflegen des Geschwisters können die Eltern beim älteren Kind Interesse und Mitgefühl für das jüngere wecken. Das ältere Kind braucht einen speziellen Platz in der Familie. Diesen können ihm die Eltern geben, indem sie ihm zum Beispiel erlauben, fünf Minuten später ins Bett zu gehen. Zudem braucht es neue, seinem Alter entsprechende Aufgaben. Die Eltern sollten ihm zeigen, wie froh sie um seinen Entwicklungsvorsprung sind, und sich für seine Mitarbeit bedanken. Wenn das ältere Geschwister plötzlich wieder einen Nuggi haben oder Windeln tragen will, dürfen die Eltern diesen «Rückfällen» keine grosse Beachtung schenken. Das Kind möchte auch wieder klein sein, weil es dadurch mehr Zuwendung erhält. Die Eltern können dem älteren Kind Sicherheit geben und sein Selbstwertgefühl stärken, indem sie es ermutigen und sich für sein Tun interessieren.

Welches Verhalten der Eltern fördert die Eifersucht?

Wenn Eltern die Entwicklungsschritte ihrer Kinder miteinander vergleichen, Stellung für das eine oder andere Kind beziehen oder plötzlich erwarten, dass das ältere Kind nun selbständig sein soll. Ebenfalls nicht klug ist es, das ältere Kind zu entwerten, wenn es «Rückfälle» hat oder Aufgaben noch nicht lösen kann. Jegliche Art von Bevorzugung oder Mitleid ist wie Gift für die Geschwisterbeziehung.

Was raten Sie Eltern, wenn das ältere Kind das Baby plagt?

Die Eltern müssen sofort eingreifen und das jüngere Kind entfernen. Sie können dies zum Beispiel kommentieren, indem sie sagen: «Gell, das tut weh. Du möchtest doch lieber mit deinem Geschwister spielen.» Auch wenn es den Eltern schwerfällt, sollten sie auf keinen Fall mit dem älteren Kind schimpfen oder es für seine Tat bestrafen. Das würde die Eifersucht nur noch mehr anstacheln.

Zwischen den meisten Geschwistern gibt es mal Knatsch, zum Beispiel wenn beide mit dem gleichen Spielzeug spielen wollen. Wie sollen die Eltern eingreifen?

Hier empfehle ich den Eltern, den Konflikt einfach nur aufzugreifen, indem sie zum Beispiel sagen: «Ihr wollt jetzt beide mit diesem Spielzeug spielen», ohne zu werten oder Partei zu ergreifen. Damit nehmen die Eltern die Emotionen der Kinder auf, sie fühlen sich verstanden und beruhigen sich. Dann kann man die Kinder fragen, wie sie sich jetzt arrangieren wollen. In der Regel finden Kinder eine Lösung, die sich von den Ideen der Erwachsenen unterscheiden kann. Manchmal müssen die Eltern beim Finden der Lösung helfen oder auch mal den Gegenstand des Streits an sich nehmen, bis die Kinder eine Lösung gefunden haben.

Wann müssen Eltern bei einem Konflikt unbedingt eingreifen, wann ist Abwarten in Ordnung?

Wenn ein Kind verletzt werden könnte, der Altersunterschied sehr gross ist und das jüngere Kind sich nicht wehren kann, wenn Gegenstände kaputtgehen könnten oder die Eltern sich durch das laute Geschrei beeinträchtigt fühlen. Sonst rate ich, lieber abzuwarten, wenn Kinder streiten. Gelingt es ihnen, den Konflikt zu lösen, spielen sie meist in Ruhe weiter. Wichtig ist, dass beide Kinder sich wehren und für sich einstehen können.

Eltern nehmen sich wahrscheinlich immer vor, alle ihre Kinder gleich zu lieben. Warum gelingt das in der Realität meistens nicht?

Es ist schlicht nicht möglich, alle Kinder gleich zu lieben. Jedes Kind ist ein Individuum. Es ist ganz normal, dass man bei jedem Kind gewisse Persönlichkeitsmerkmale mehr schätzt.

Wie sollen die Eltern damit umgehen, wenn ihnen ihr Kind vorwirft, dass sie das Geschwister mehr lieben?

Anstatt der Lüge «Ich habe euch doch beide genau gleich gern» sagt man lieber ehrlich: «Ich habe jedes von euch anders gern.» Danach kann man aufzählen, welche Merkmale man an jedem Kind besonders schätzt. Um dazu in der Lage zu sein, sollten sich die Eltern diese Frage immer wieder mal stellen. Auf keinen Fall sollte man die Kinder wegen ihrer Persönlichkeitsmerkmale kritisieren und entwerten. Auch wenn der Vorwurf, das andere Geschwister mehr zu lieben, sehr trifft, ist es besser, wenn die Eltern dabei ruhig bleiben. Manche Kinder werden sonst dazu verleitet, diese Vorwürfe zu wiederholen, um mehr Zuwendung zu erhalten.

Tipps zur Vorbereitung eines Kindes auf ein Geschwister

  • Bereiten Sie Ihr Kind realistisch auf das Baby vor, indem Sie ihm zum Beispiel erklären, wie gross Babys sind und was sie den ganzen Tag machen.
  • Erklären Sie ihm, dass das Baby die Mama viel in Anspruch nehmen wird (z.B. beim Stillen).
  • Sagen Sie Ihrem Kind nie, dass es einen Spielkameraden erhalten wird, sonst ist die Enttäuschung umso grösser.
  • Schauen Sie mit Ihrem Kind Bilderbücher zum Thema an.
  • Hören Sie dem Kind zu und interessieren Sie sich dafür, wie das Kind die Ankunft des Geschwisters versteht.
  • Beziehen Sie es in die Gestaltung des Bettchens und des Zimmers ein.
  • Besprechen Sie mit Ihrem älteren Kind, was es gerne mit Mami und Papi macht und wie Sie nach der Geburt Zeit mit ihm verbringen werden.