Wie Kinder soziales Verhalten lernen

Soziales Verhalten ist nicht einfach angeboren, Kinder entwickeln diese Fähigkeit im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen.

Nicht teilen wollen, andere Kinder nicht mitspielen lassen oder auch mal mit dem besten Freund heftig streiten – viele Eltern kennen diese Verhaltensweisen ihres Kindes bestens. Sie ärgern sich darüber und können das Verhalten ihres Sprösslings überhaupt nicht verstehen. Oft greifen sie verfrüht ein, weil sie nicht wollen, dass ihr Kind «gemein» zu anderen ist. Kathy Egli, Psychologin und Ausbilderin von Kleinkind-Erzieherinnen, sagt dazu: «In den ersten vier Lebensjahren können Kinder gar nicht böswillig andere Kinder plagen, weil sie noch nicht in der Lage sind, sich in ein anderes Kind zu versetzen und dessen Gefühle nachzuvollziehen.» Zwar entwickeln Kinder im Laufe des zweiten Lebensjahres die Fähigkeit, mit einem weinenden Spielkameraden mitzufühlen. Doch erst mit etwa vier Jahren können sie die Perspektive ihres Gegenübers einnehmen und sich die Frage stellen: «Wie würde ich mich an seiner Stelle fühlen?» Durch diese Fähigkeit werden übrigens auch negative Gefühle möglich wie Schadenfreude und Neid, aber auch negative Verhaltensweisen wie bewusstes Lügen oder Austricksen.

«Das gehört mir!»

In den ersten zwei Lebensjahren haben Kinder noch kein Besitzverständnis. Sie nehmen sich alles, was ihr Interesse weckt, und lassen es dann wieder liegen. Ab zwei Jahren verwenden Kinder das besitzanzeigende «Meins!» und werden zu Hamsterern. «Es ist ganz normal, dass ein Kind in diesem Alter alles an sich rafft und hartnäckig um sein Spielzeug kämpft. In der Regel lässt sein Interesse am Streitobjekt nach, sobald sein Spielkamerad aufgibt», sagt Kathy Egli. Dieses Verhalten habe nichts mit Egoismus oder Raffgier zu tun, sondern vielmehr mit dem Erproben von Einflussnahme und Durchsetzungsvermögen. Es ist eine vorüber-gehende, aber wichtige Phase, in der das Kind ein Verständnis von Besitz gewinnt. «Kinder können erst dann teilen lernen, wenn sie vorher das Gefühl erleben durften etwas zu besitzen», erklärt die Fachfrau. Deshalb sei es auch nicht sinnvoll, ein Kind zum Teilen zu zwingen. Es soll eigene Erfahrungen machen und das Aushandeln erproben können. Kinder lernen teilen, wenn ihre Bezugspersonen ihnen soziales Verhalten vorleben.
Mit etwa drei Jahren sind Kinder dann dazu bereit, ein Spielzeug herzugeben, um Kontakt zu einem anderen Kind aufzunehmen oder einen Konflikt zu beseitigen. Bezugspersonen können das Teilen fördern durch Aussagen wie: «Ich finde es sehr nett von dir, dass Nicolas mit deinem Auto spielen darf. Schau, wie er sich freut.»
Bei drei- bis fünfjährigen Kindern basieren noch sechzig Prozent der Konflikte auf Besitzstreitigkeiten. Kinder müssen immer wieder erfahren, dass ihnen nichts weggenommen wird und dass es genügend für alle gibt. Uneigennützig teilen können Kinder erst im Schulalter.

«Du darfst nicht mitspielen!»

Im Vorschulalter streiten sich Kinder auch um die Teilnahme an einem Spiel. Wird ein Kind ausgeschlossen, werden Erwachsene sehr schnell dazu verleitet, ins Spiel einzugreifen. Laut Kathy Egli ist dies nicht sinnvoll. «Eltern oder Erzieherinnen sollen die Situation zuerst beobachten und abwarten, ob die Kinder selber eine Lösung finden oder ob das ausgeschlossene Kind Unterstützung braucht. Kinder können beim Aushandeln sehr kreativ und kompetent sein», weiss die Psychologin. Zusammen mit dem ausgeschlossenen Kind kann man dann allenfalls überlegen, wie es den Einstieg ins Spiel finden könnte. Dabei sollten Erwachsene aber nicht für das ausgeschlossene Kind handeln.
Ein dominantes Kind kann zum Nachdenken angeregt werden mit der Aussage: «Willst du wirklich, dass Sara weint? Was kann sie tun, um mitspielen zu dürfen?» Damit lässt sich viel mehr erreichen als mit Ermahnungen oder Kritik.
Nicht immer hat es in einem Spiel Platz für ein weiteres Kind. Deshalb sollen Kinder nicht gezwungen werden, ein anderes Kind mitmachen zu lassen. Jedes Kind soll im Zusammensein mit anderen Kindern seine eigenen Erfahrungen sammeln und Handlungsmöglichkeiten ausprobieren.

Anstatt Konfliktlösungen vorzugeben, sollten Erwachsene versuchen, die Kommunikation unter den Kindern zu unterstützen, indem sie deren Absichten, Wünsche und Gefühle in Worte fassen. Manchmal werden Kinder ausgeschlossen, weil sie unbeliebt sind oder sich auffällig verhalten. «Kinder mit störendem Verhalten handeln nicht böswillig. Sie haben besondere Bedürfnisse, oft aufgrund seelischer Probleme oder infolge von Entwicklungsauffälligkeiten», gibt Kathy Egli zu bedenken. «Sie brauchen weiterreichende Unterstützung.»

Plagen im Vorschulalter

Eltern und Erzieherinnen müssen dann eingreifen und Grenzen setzen, wenn ein Kind regelmässig ausgegrenzt, körperlich angegriffen oder mit abwertenden Bemerkungen verletzt wird, wie zum Beispiel: «Du darfst nicht mitspielen, weil du stinkst» oder «Du bist zu blöd zum Mitspielen». Hier handelt es sich um Mobbing, eine Form von Gewalt, die das Selbstwertgefühl des betroffenen Kindes beeinträchtigt. Erwachsene müssen sofort eingreifen, indem sie zum Beispiel sagen: «Stopp, ich dulde nicht, dass ihr so miteinander umgeht.» Sie sollen die Kinder im Gespräch über ein respektvolles Miteinander nachdenken lassen. Bei Plagereien ist es wichtig, die zuschauenden Kinder anzusprechen. Sie können wesentlich dazu beitragen, das plagende Kind zu stoppen.

Soziales Verhalten lernen

Eltern können soziales Verhalten fördern, indem sie respektvoll miteinander, mit ihrem Kind und mit Mitmenschen umgehen. Sie sollen ihr Kind ernst nehmen, ihm zuhören und ihm zeigen, dass sie soziales Verhalten schätzen, indem sie ihm für erwünschtes Verhalten Aufmerksamkeit schenken (z.B. «Ich finde es toll von dir, dass du Anna gezeigt hast, wie das Spiel geht»). Kathy Egli empfiehlt generell, die Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse und Absichten von Kindern in Worte zu fassen. So fühlen sich Kinder verstanden und werden zum Nachdenken über ihr Tun angeregt. Sie lernen zudem am Vorbild, wie sie sich mit Worten miteinander austauschen können. Dies ist förderlicher, als Lösungen vorzugeben oder Kinder zu sozialem Verhalten zu drängen.
Nicht zuletzt können Themen wie Freundschaft, Konflikte und Gefühle durch Spiele, Bilderbücher und Geschichten vertieft werden.

Gute Frage: Wird soziales Verhalten durch den Besuch einer Kita/Spielgruppe gefördert?

Ja, vorausgesetzt die Erzieherin

  • gibt viel Raum für freies Spiel,
  • erarbeitet mit den Kindern wenige Regeln für den achtsamen Umgang miteinander,
  • setzt klare Strukturen und Sicherheit gebende Grenzen,
  • begleitet und unterstützt Auseinandersetzungen unter den Kindern, gibt minimale Hilfestellung,
  • handelt bei Plagereien überlegt und klar,
  • grenzt selber nie ein Kind aus, bestraft nicht mit «Auszeit»,
  • ist selber Vorbild in Bezug auf soziales Verhalten.