Sexualität in den ersten Lebensjahren

Schon Babys sind sexuelle Wesen. Doch ihre Sinnlichkeit unterscheidet sich wesentlich von der Sexualität Erwachsener.

Babys geniessen Berührungen und erleben die Welt mit allen Sinnen. Wenn der kleine Sohn beim Wickeln jedoch eine Erektion hat oder die Klitoris der Tochter anschwillt, sind viele Eltern etwas verunsichert. Bruno Wermuth, Sexualpädagoge und -berater aus Bern, erklärt dazu: «Dies sind in erster Linie natürliche Körperreaktionen, die nicht im selben Sinn wie bei Erwachsenen sexuell motiviert sind.»
Babys macht es Spass, ihren Körper zu entdecken – dazu gehören auch die Geschlechtsteile. Deshalb sollten sie immer wieder die Möglichkeit haben, auch mal nackt zu strampeln. «Wenn das Kind seine Geschlechtsteile erkundet, sind Kommentare wie ‹Pfui!› für eine gesunde Sexualentwicklung nicht förderlich», weiss der Sexualpädagoge. Er empfiehlt den Eltern zudem, beim Waschen oder Wickeln die Geschlechtsteile ihres Kindes von klein auf zu benennen, genauso wie andere Körperteile auch. Am Anfang sind kindliche Begriffe in Ordnung. Mit der Zeit soll das Kind weitere Begriffe und Bezeichnungen für die einzelnen Teile der Sexualorgane kennenlernen. Gerade bei Mädchen sei das wichtig, so der Fachmann, weil ihre Geschlechtsorgane nicht so gut sichtbar sind wie bei kleinen Jungs.

Lustvolle Empfindungen

Ab dem zweiten Lebensjahr beginnen sich Kinder gezielt an den Geschlechtsteilen zu berühren, um sich dadurch angenehme Gefühle zu verschaffen. «Selbstbefriedigung ist schon im Kleinkindalter möglich. Dabei geht es einfach nur darum, lustvolle Empfindungen zu erleben», erklärt Bruno Wermuth. Manche Eltern erschrecken, weil sie die Handlungen aus der Erwachsenenperspektive bewerten und etwas hineininterpretieren, was es für Kinder nicht ist. Laut Bruno Wermuth sind Kleinkinder noch nicht in der Lage, Kategorien wie Sinnlichkeit, Zärtlichkeit und Sexualität zu unterscheiden. 

Grenzen respektieren

Kinder sind von Natur aus neugierig. Manche sind ganz fasziniert von den Geschlechtsteilen der Eltern und wollen diese gerne auch berühren, was die Eltern verunsichern kann. Bruno Wermuth dazu: «Die Eltern sollten altersentsprechend entscheiden. Wenn ein zweijähriges Kind den Penis seines Vaters kurz berühren will, kann das in Ordnung sein. Bei einem sechsjährigen Kind sind solche Berührungen jedoch nicht mehr angebracht. Und natürlich dürfen die Berührungen nie durch den Lustgewinn der erwachsenen Person motiviert sein.» Eltern sollen es ihrem Kind sagen, wenn sie diese Berührung nicht oder nicht mehr wünschen. Dadurch lernt das Kind, dass jeder selber über seinen Körper entscheiden und Berührungen deshalb auch ablehnen darf.

Die Zeigelust

Die meisten Kleinkinder ziehen sich gerne nackt aus. Ende des zweiten Lebensjahrs haben manche Kinder grossen Spass daran, ihre Geschlechtsteile zu entblössen. «Bei der Zeigelust handelt es sich um eine ganz normale Phase, die vorübergeht», erklärt Bruno Wermuth. Kinder entdecken, was sie mit ihrem Körper machen können, und sind stolz auf ihr Geschlecht. Während dieser Phase ist es wichtig, dass das Kind sowohl von der Mutter als auch vom Vater in seinem Stolz bestärkt wird. «Die Zeigelust zu unterbinden wäre schlecht für die Entwicklung des Selbstwertgefühls des Kindes, weil das Kind dadurch lernt, dass die Freude am eigenen Körper nicht gut ist», erläutert der Sexualpädagoge.

Entspannter Zugang zur Sexualität

Wenn Kinder zum ersten Mal Fragen zur Sexualität oder zur Fortpflanzung stellen, kommen viele Eltern ins Schleudern. Bruno Wermuth dazu: «Sexualerziehung ist ein fortlaufender Prozess. Wenn Kinder Fragen stellen, haben sie ein Recht auf Antworten. Wichtig ist, dass sich die Eltern an der Frage orientieren und nichts hineininterpretieren.» Will ein Kind wissen, wie Babys in den Bauch kommen, wäre ein Biologievortrag fehl am Platz. Besser ist eine symbolische und spielerische Sprache. Nicht alle Details müssen schon im ersten Gespräch erklärt werden. Die Information, dass das Baby in den Bauch kommt, wenn Papa sein «Schnäbi» beim Schmusen in die Scheide von Mama steckt, kann am Anfang schon ausreichen.
Beide Elternteile sollen sich um die Sexualerziehung kümmern und sich gegenseitig dabei unterstützen, um einen möglichst entspannten und altersgerechten Zugang zur Sexualität zu schaffen. Manchen Eltern fällt die Sexualerziehung leichter, wenn sie Bücher einsetzen können.

 

Tipps: Was Sie übers «Dökterle» wissen sollten

  • «Dökterle» entspricht dem natürlichen Forschungsdrang des Kindes.
  • Jedes Kind soll freiwillig mitspielen und jederzeit aussteigen dürfen.
  • Kein Kind darf dem anderen Schmerzen zufügen.
  • Kinder spielen «Dökterlis» lieber hinter verschlossenen Türen. Erwachsene haben dabei nichts zu suchen, weder als Zuschauer noch als Mitspieler.
  • Unausgeglichene Verhältnisse in Bezug auf die körperlichen und geistigen Kräfte und damit Machtgefälle unter den Kindern müssen vermieden werden.