Wenn kleine Kinder häufig krank werden, sind manche Eltern besorgt – meist zu Unrecht. Hier ein paar Tipps, wie sich das Immunsystem bei Kindern stärken lässt.
Ein Kind kommt mit einem sogenannten Nestschutz zur Welt. Das heisst, dass ihm seine Mutter über die Plazenta gewisse Schutzstoffe (Antikörper) mit auf den Weg gegeben hat, die es vor einigen Krankheitserregern schützen. In den ersten sechs bis neun Monaten lässt dieser Nestschutz aber allmählich nach, und bei jedem Kontakt mit krankmachenden Keimen muss der Körper des Kindes lernen, selber damit fertigzuwerden. Bei einem weiteren Kontakt mit dem gleichen Erreger erkennt sein Körper ihn und kann ihn abwehren. Dadurch erwirbt das Kind Immunität. «Je älter es ist, desto grösser ist die Chance, dass es schon Kontakt mit diversen Krankheitserregern gehabt hat und weniger häufig krank wird», erklärt Ulrich Heininger, stellvertretender Chefarzt am Universitäts-Kinderspital beider Basel.
Immer wieder krank
Vor allem berufstätige Eltern verzweifeln manchmal, wenn ihr Kind immer wieder hustet, an einem Schnupfen oder einer Magen-Darm-Grippe leidet und ein Elternteil der Arbeit fernbleiben muss. Wie häufig ein Kind krank wird, hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt auch von den Genen. Laut Ulrich Heininger ist es normal, dass Kinder in den ersten Lebensjahren bis zu zwölfmal pro Jahr an einer Infektion erkranken – meistens sind die Atemwege betroffen und ab und zu der Magen-Darm-Trakt. Gedanken um die Funktion des Immunsystems ihres Kindes müssen sich Eltern dann machen, wenn ihr Kind bereits in den ersten Lebenswochen und -monaten an ungewöhnlichen Infektionen oder häufiger als zwölfmal jährlich erkrankt oder nicht richtig gedeiht, also nur ungenügend an Gewicht zulegt. Hier muss der Kinderarzt den Ursachen auf den Grund gehen.
Doch was ist, wenn ein Kind in den ersten Lebensjahren überhaupt nie krank wird? Wird sein Immunsystem nicht richtig aufgebaut? Ulrich Heininger verneint: «Es gibt tatsächlich Kinder, die fast nie krank werden. Das soll die Eltern nicht beunruhigen.»
Einflussfaktor «soziale Kontakte»
Viele berufstätige Eltern sind darauf angewiesen, dass ihr Kind in einer Kindertagesstätte betreut wird. Tatsächlich werden Kinder, die eine Kita besuchen, jedoch häufiger krank. Das liegt daran, dass sie mehr Kontakt zu anderen Kindern haben und dadurch mit mehr Krankheitskeimen in Kontakt kommen als Einzelkinder, die zu Hause betreut werden. Das mag für die Eltern lästig sein, hat aber auch einen grossen Vorteil. Ulrich Heininger erklärt: «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder, die früh im Leben immer wieder an Infektionen wie Erkältungen leiden, später seltener Allergien entwickeln.» Kinder, die in den ersten Lebensjahren wenig soziale Kontakte haben, werden später im Kindergarten häufiger krank als Kinder, die eine Kindertagesstätte besucht haben.
Mehr Dreck
Damit sich das Immunsystem eines gesunden Kindes gut entwickeln kann, muss es Kontakt mit verschiedenen Keimen haben. Deshalb rät Ulrich Heininger davon ab, die Wohnung mit Desinfektionsmitteln zu reinigen. Er sagt: «Dadurch greifen wir unnötig in die Natur ein und töten oftmals Keime ab, die keine Gefahr darstellen.» Im Spital sehe die Situation anders aus: Dort sei eine sorgfältige Hygiene absolut notwendig.
Dass ein bisschen «mehr Dreck» gesunden Kindern guttut, zeigen diverse Studien: So leiden Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, seltener an Allergien, weil sie von klein auf mit mehr Keimen in Kontakt kommen. Eine Allergie ist nichts anderes als eine überschiessende Reaktion des Körpers auf an und für sich ungefährliche Proteine wie Pollen oder der Kot von Hausstaubmilben. Doch nicht jede Art von Dreck tut dem Immunsystem des Kindes gut: Ein durch Tierkot verunreinigter Sandkasten kann ein Risiko für die Gesundheit des Kindes bedeuten. Aus diesem Grund sollten Sandkästen immer abgedeckt werden, wenn die Kinder fertig gespielt haben.
Schutz durch Stillen
Säuglinge, die gestillt werden, erkranken seltener an Magen-Darm-Infekten (verursacht z.B. durch das Rotavirus). Dafür verantwortlich sind Antikörper, die in der Muttermilch enthalten sind und eine gewisse schützende Wirkung haben. Ulrich Heininger weist darauf hin, dass man den Effekt des Stillens aber nicht überbewerten dürfe, und erklärt: «Sobald die Mutter abstillt, ist der Schutz weg.» Mütter, die nicht stillen können oder wollen, müssen sich also keine Sorgen machen, dass sie das Immunsystem des Kindes nicht genügend gefördert hätten.
Schutz durch Impfen
Der Körper des Kindes muss sich tagtäglich mit Tausenden von Mikroorganismen auseinandersetzen, die teilweise krank machen können. Gegen weniger als 20 Erreger können die Eltern ihr Kind durch eine Impfung schützen. Dazu zählen die Verursacher potenziell gefährlicher Krankheiten wie Masern, gegen die es bis heute keine Behandlung gibt, die aber in seltenen Fällen zu Behinderungen führen oder gar tödlich enden kann. Dennoch gibt es auch in der Schweiz Eltern, die ihr Kind nicht impfen lassen, weil sie überzeugt sind, dass es besser ist, wenn ihr Kind selber mit allen Keimen fertigwird. Ulrich Heininger, der sich in der Eidgenössischen Kommission für Impffragen engagiert, ist der Überzeugung, dass manche Eltern die mit gewissen Infektionskrankheiten verbundene Gefahr unterschätzen. Wenn laut Statistik ein Kind von tausend nach Masern mit einem bleibenden Schaden rechnen muss, glauben sie, dass es ihr Kind schon nicht treffen wird. Andere Eltern nehmen es billigend in Kauf, dass sich ihr Kind mit einer Krankheit ansteckt, gegen die sie es durch Impfung hätten schützen können.
Kranke Säuglinge
Trotz Nestschutz können Säuglinge an Erkältungs- oder Magen-Darm-Viren erkranken, wenn sie Kontakt zu Kranken haben. Oft verlaufen diese an sich banalen Infekte bei Babys in den ersten Lebensmonaten schwerer als bei Kleinkindern. Ulrich Heininger empfiehlt deshalb: «Eltern von Neugeborenen und Babys in den ersten sechs Lebensmonaten sollten den Kontakt zu Kranken möglichst meiden.» Besucht ein Säugling eine Kita, lässt sich diese Empfehlung jedoch nicht konsequent befolgen.
Das können Eltern tun
Das Immunsystem ist kein Muskel, den man durch viel Training aufbaut – es ist allzeit bereit, wenn es normal funktioniert. Dennoch können Eltern das Kind bei der Entwicklung einer guten Abwehrkraft unterstützen. Sie können sein Wohlbefinden fördern, indem sie ihm soziale Kontakte zu Gleichaltrigen ermöglichen und für ein ausgewogenes Freizeitprogramm sorgen, das auch Raum für freies Spielen lässt. Eine gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse stärkt Kinder mehr als Vitamintabletten. Ebenfalls positiv auf das Immunsystem von Kindern wirkt sich Bewegung im Freien bei jedem Wetter aus. Kinder, die draussen spielen und auch mal ausser Puste kommen, atmen tiefer ein und durchlüften ihre Lunge besser. Aus Sicht von Ulrich Heininger ist es aber besonders wichtig, darauf zu achten, dass nicht nur das Kind, sondern die ganze Familie ausgeglichen ist. Er fügt an: «Durch eine positive Grundeinstellung ertragen Eltern und Kind Krankheitsepisoden besser.» Am besten nehmen wir es, wie es kommt.
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Warum impfen wir Kinder bereits mit zwei Monaten?
Die Eidgenössische Kommission für Impffragen empfiehlt die frühe Impfung, damit sich der Körper des Kindes mit den Erregern potenziell gefährlicher oder gar tödlich verlaufender Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b und Polio vertraut machen kann, solange der Nestschutz der Mutter noch wirkt. Lässt dieser nach sechs Monaten nach, ist das Kind gegen diese Krankheiten dank der Impfung geschützt.
Haben Sie gewusst,
dass Sie (Mutter oder Vater) der Arbeit bis zu drei Tage fernbleiben dürfen, wenn Ihr Kind krank ist? Dieser Anspruch gilt pro Krankheitsfall. Sie sind aber verpflichtet, möglichst rasch eine Betreuung für Ihr Kind zu suchen. Ausserdem kann der Arbeitgeber ab dem ersten Krankheitstag ein ärztliches Zeugnis verlangen. Der Arbeitgeber darf Ihnen die Absenz nicht von den Ferien oder vom Lohn abziehen und kann auch nicht verlangen, dass Sie die Zeit nachholen oder durch Überstunden kompensieren.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.