Alle Eltern wünschen sich gute Freunde für ihr Kind. Die Psychologin Stefanie Rietzler erklärt, warum Freundschaften für Kinder so wichtig sind und was Eltern tun können, damit ihr Kind Freunde finden kann.
Ab welchem Alter finden Kinder erste Freunde?
Die ersten Freundschaften zwischen Kindern entstehen circa mit zweieinhalb Jahren. In diesem Alter beginnen Kinder, andere in der Kita als Freunde zu bezeichnen. Manche finden erst im Kindergarten erste Freunde.
Wie sehen diese Kinderfreundschaften aus?
Im Kleinkindalter spielen Kinder häufig nebeneinander, gucken sich mal über die Schulter oder reissen einander Spielsachen weg. Es gibt noch wenig gemeinsames Spiel. Die Kinder freuen sich, wenn sie sich sehen. Sie tauschen Sachen aus. In diesem Alter kommt es aber noch zu vielen Konflikten rund um Besitz. Die Emotionen kochen sehr schnell hoch. Die Kinder beruhigen sich aber auch rasch wieder. Im Kleinkindalter wechseln Freundschaften bei vielen Kindern. Zwischen einigen Kindern entstehen jedoch bereits tiefe Verbindungen.
Wann intensivieren sich die Freundschaften zwischen Kindern?
Mit etwa vier Jahren werden die Beziehungen enger. In diesem Alter bezeichnen Kinder andere als beste Freunde. Jetzt können Kinder sich immer besser in ihr Gegenüber einfühlen und dessen Perspektive übernehmen. Immer öfter spielen sie gemeinsam und interessieren sich besonders für Rollen- und Regelspiele. Sie brauchen oft viel Zeit für die Planung von Spielen und wollen, dass alles fair zu und her geht.
Was ist speziell an den Kinderfreundschaften in diesem Alter?
Oft handelt es sich bei den Freundschaften zwischen Kindern um eine Schön-Wetter-Kooperation: Wenn sie es gut miteinander haben, dann ist das andere Kind ein Freund. Macht dieses etwas, was dem einen Kind nicht passt, dann heisst es schnell: «Du bist nicht mehr mein Freund!». Meist vertragen sich Kinder aber schnell wieder. Viele sind nicht nachtragend. Das kann Erwachsene irritieren.
Warum brauchen Kinder Freunde?
Freunde sind ein wichtiger Baustein für die gesunde psychische Entwicklung, denn jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Bindung. Kinder brauchen nicht nur ihre Familie, auch durch Freunde fühlen sie sich angenommen. Ausserdem schauen sich Kinder viel voneinander ab und lernen sehr viel Neues im Kontakt mit anderen: Freunde können also auch Vorbilder sein. Zudem geben sie einander direktes und ungeschöntes Feedback, zum Beispiel, wenn etwas nervt, was wiederum beim Aufbau sozialer Kompetenzen hilft. Beim gemeinsamen Spielen lernen sie, Kompromisse zu schliessen, ihre Meinung zu vertreten, sich einzubringen, aber sich auch mal zurückzunehmen und etwas zu spielen, auf das sie wenig Lust haben. So lernen sie, mit Frust umzugehen und entwickeln Sozialkompetenz.
Freundschaften steigern auch das Selbstwertgefühl. Studien haben gezeigt, dass Erwachsene, die Freundschaften pflegen, ein besseres Immunsystem haben und länger leben. Bei Menschen, die keinen Anschluss finden, wird das Schmerzzentrum aktiviert – man leidet richtiggehend!
Wie können Eltern ihr Kind beim Finden von Freunden unterstützen?
Eltern können gute Bedingungen schaffen, um ihr Kind in Kontakt mit anderen zu bringen. Sie können zum Beispiel einen Spielplatz in der Nachbarschaft besuchen oder sich mit anderen Familien verabreden.
Kinder brauchen Zeit, um abzumachen. Sie sollen frei und unbeobachtet mit anderen spielen können. Das ist nur möglich, wenn die Agenda nicht allzu voll ist.
Was ist sonst noch förderlich?
Es ist wichtig, dass Eltern eine positive Grundhaltung gegenüber den Freunden ihres Kindes haben. Ein Kind, das zu Besuch kommt, soll sich wohlfühlen und spüren, dass es willkommen ist. Mit einem kleinen Geburtstagsgeschenk kann man ausdrücken, dass man sich über die Freundschaft freut.
Was hilft, wenn ein Kind schüchtern ist?
Hier ist es hilfreich, das Kind nicht unter Druck zu setzen und ihm Zeit zu geben, sich anderen Kindern anzunähern. Einfacher wird es, wenn man dem Kind ein spannendes Spielzeug mitgibt, mit dem mehrere Kinder zusammen spielen können. Eltern können auch mal ein Spiel, zum Beispiel ein Ballspiel, initiieren und sich dann nach und nach zurückziehen. Ausserdem empfehle ich Eltern, ihr schüchternes Kind auf Gemeinsamkeiten mit anderen hinzuweisen und so eine erste Verbindung herzustellen.
Was fördert die Entstehung von Freundschaften zwischen Kindern?
Freundschaften entstehen, wenn man sich oft sieht. Je öfter sich Kinder sehen, desto sympathischer finden sie sich.
Ein entscheidender Faktor ist aber auch prosoziales Verhalten: Freunde findet man eher, wenn man freundlich ist, gut miteinander spielen kann, teilt, Hilfe anbietet, einander tröstet oder verteidigt, Ideen gegenseitig aufnimmt, einander zuhört und zeigt, dass man gerne zusammen ist.
Warum suchen manche Kinder Freunde, die ganz anders sind als sie selbst?
Kinder suchen sich auch Freunde, die ihnen helfen, in der Entwicklung voranzukommen und dazuzulernen. Eltern eines ruhigen Kindes fragen sich manchmal, warum es ausgerechnet gerne mit einem lauten Kind spielt und umgekehrt. Aber genau von diesen Gegensätzen profitieren Kinder: Das wildere kommt in die Ruhe, während das ruhige sich abschauen kann, wie man sich selbst besser behauptet. Wenn sich Eltern über die Freundschaft ihres Kindes wundern, sollten sie das andere Kind nicht vorschnell verurteilen, sondern können sich überlegen, was ihr Kind am anderen fasziniert und was es aus dieser Freundschaft lernen kann.
Was raten Sie Eltern, wenn ihr Kind ausgeschlossen wird und zum Beispiel als einziges Kind aus der Kita nicht an einen Geburtstag eingeladen wird?
Als Elternteil tut das im Herzen weh. Ich rate aber, sich nicht zu Kurzschlussreaktionen hinreissen zu lassen, sondern zunächst herauszufinden, was dahintersteckt. Darf Emma zum Beispiel nur so viele Kinder einladen, wie sie alt wird, versteht man die Situation leichter.
Ist ihr Kind als einziges mehrmals nicht eingeladen, sollten Eltern aber doch hellhörig werden und zum Beispiel die Erzieherin fragen, wie es in der Gruppe integriert ist und inwiefern es mit anderen spielt. Stellt sich heraus, dass das Kind in der Gruppe systematisch gehänselt oder ausgeschlossen wird, ist es wichtig, dass sich die Erziehenden dieser Dynamik annehmen. Vielleicht erhält man als Mutter oder Vater aber auch die Rückmeldung, dass das eigene Kind Verhaltensweisen aufzeigt, die auf andere abstossend wirken. Schlägt es aus Frust regelmässig zu oder schüchtert andere ein, haben andere Kinder Angst vor ihm. Dann ist es wichtig, dem Kind alternative Verhaltensweisen näherzubringen und es in seiner Impulskontrolle zu stärken, beispielsweise durch Bücher zum Thema Wut und Frust oder im Rahmen einer Erziehungsberatung.
Nimmt ein schüchternes Kind Kontaktbemühungen anderer Kinder nicht auf, kann man mit ihm in einem ruhigen Moment besprechen oder im Rollenspiel üben, wie man auf andere Kinder zugeht und ins Spiel hineinfindet.
Was empfehlen Sie, wenn Eltern immer wieder Kinder einladen, diese aber nur einmal und dann nie wieder kommen?
Ich würde versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Manche Kinder sind mit dem freien Spielen überfordert. Rastet das eigene Kind zum Beispiel bei Brettspielen immer wieder aus, wenn es verliert, legt man diese Spiele besser weg, bevor der Besuch kommt, und bereitet andere Spiele hervor.
Ist das Kind introvertiert und lässt seinen Gast stehen, sollte man den Besuch zeitlich begrenzen oder eine vorhersehbare Aktivität mit den Kindern planen, damit der erste Kontakt positiv verläuft und das andere Kind gerne wieder kommt.
Sind Eltern heute überbesorgt, wenn ihr Kind keine Freunde findet?
Nein, das glaube ich nicht. Eltern sind sich einfach darüber bewusst, wie wichtig Freundschaften für ihr Kind sind. Problematischer finde ich, dass viele Eltern versuchen, die Freundschaften ihrer Kinder so stark zu beeinflussen. Laut einer Studie von Margrit Stamm achten immerhin 60 Prozent der Eltern darauf, ob ein anderes Kind eine «gute Partie» ist und aus ihrer Sicht «gut passt». Es ist aber wichtig, dass Kinder ihre Freunde möglichst frei wählen dürfen – ausser, es entwickelt sich wirklich eine toxische Verbindung. Im Normalfall dürfen wir Eltern darauf vertrauen, dass unser Kind sich die Freunde sucht, die es braucht.
Wie reagieren Eltern am besten, wenn die Situation wirklich schwierig wird?
Hier beobachte ich, dass viele Eltern bei Mobbing zu lange zuschauen. Dann kommen die Kinder kaum mehr aus der Opferrolle heraus. Bei Mobbing muss man aktiv werden. Es ist in der Verantwortung der Erwachsenen, also der Eltern und Erzieherinnen, dass sich alle Kinder in der Kita oder im Kindergarten wohlfühlen.
Wie erkennen Eltern, wenn eine Freundschaft ihrem Kind nicht guttut?
Indem sie es beobachten. Ist ein Kind immer verängstigt, überfordert, angespannt oder völlig überdreht, wenn es mit seinem Freund spielt, kann diese Freundschaft eine Herausforderung sein. Manchmal lässt sich ein Konflikt lösen. Manche Kinder sind aber einfach nicht miteinander kompatibel.
Sollte man seinem Kind den Kontakt zu falschen Freunden untersagen?
Im Kindergartenalter gilt es zu unterscheiden, ob die Freundschaft für die Eltern oder für ihr Kind suboptimal ist. Eltern eines sehr ruhigen Kindes finden die Betreuung eines forschen Freundes oft anstrengend, während ihr Kind keine Probleme damit hat. Um die Freundschaft besser zu verstehen, können sie ihr Kind auch fragen, was ihm an seinem Freund so gut gefällt.
Im Kindergartenalter sollten Eltern nur dann einschreiten, wenn ein Kind übergriffig ist und ein Kind immer in der Position der Schwäche ist. Hier brauchen Kinder oft die Unterstützung ihrer Eltern, um Konflikte zu lösen.
Was können Eltern tun, wenn eine Freundschaft ihres Kindes zerbricht oder es Freunde zum Beispiel aufgrund eines Umzugs verliert?
In diesen Situationen ist es wichtig, dem Kind zuzugestehen, dass es traurig ist und seine Gefühle zu begleiten. Bei einem Umzug können die Eltern einen liebevollen Rahmen schaffen, um die Freundschaft ihres Kindes nochmals zu würdigen, beispielsweise durch eine Abschiedsfeier. Auch ein Abschiedsgeschenk, zum Beispiel ein Freundschaftsarmband, kann helfen, über den Verlust hinwegzukommen. Ausserdem können die Eltern Möglichkeiten schaffen, damit die Kinder in Kontakt bleiben können, indem sie einander zum Beispiel in den Ferien besuchen oder einander Fotos senden dürfen.
Buchtipp
Freunde wie wir … Das gibt’s nur einmal auf der Welt, Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund. Hogrefe, 2023.
Dieses Kinderbuch beschreibt, wie man Freunde finden, Freundschaften pflegen, soziale und emotionale Kompetenz entwickeln und prosoziales Verhalten fördern kann. Das liebevoll illustrierte Buch richtet sich an Bezugspersonen von Kindern zwischen 3 und 7 Jahren, Kindergärten, Kitas, Grundschulen, Psychotherapie- und Beratungsstellen.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.