In vielen Familien ist Übergewicht ein Thema. Marianne Botta Diener erklärt, wie Eltern zu einem gesunden Gewicht finden und gleichzeitig das Fundament für eine gesunde Ernährung ihrer Kinder in den ersten Lebensjahren legen.
Zwei von drei frischgebackenen Müttern klagen noch Monate nach der Geburt über zu viele Pfunde. Warum fällt es vielen Müttern schwer, abzunehmen?
Viele Mütter haben unrealistische Vorstellungen von ihrem Körper nach der Geburt, wollen schon nach wenigen Wochen aussehen wie früher. Promis machen dies ja vor. Doch es dauert rund neun Monate bis ein Jahr, bis sich das Gewebe einigermassen zurückgebildet hat. Ein Teil des während der Schwangerschaft zugenommenen Gewichts dient als Reserve fürs Stillen. Erst wenn die Stillzeit beendet ist und das Baby den ersten Geburtstag feiert, sollte eine Frau ihr Gewicht beurteilen. Ideal ist, wenn sie nach der Geburt vernünftig und nicht zu viel isst, damit der Körper die Chance hat, die Reserven fürs Stillen anzuzapfen. Auch Schlafmangel und Stress – davon sind die meisten frischgebackenen Mütter betroffen – machen dick.
Warum denn das?
Wer in der Nacht nicht gut oder zu wenig geschlafen hat, verspürt am nächsten Tag mehr Hunger als sonst und isst auch mehr und öfter. Studien belegen, dass ein Schlafdefizit bei Erwachsenen die Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden, um etwa 50 Prozent erhöht. Bei Kindern und Jugendlichen steigt dieses Risiko auf 68 Prozent, bei besonders grossem Schlafdefizit sogar auf 92 Prozent! Das heisst: Das Risiko, dick zu werden, ist umso höher, je weniger man schläft. Zudem werden bei Schlafmangel die Zellen insulinresistent und können Kohlenhydrate weniger gut aufnehmen, trotz genügend Insulin im Blut. Dies wiederum fördert die Entwicklung von Diabetes und anderen Krankheiten.
Was kann man denn nach einer zu kurzen Nacht tun?
Vielleicht den Haushalt mal liegen lassen und schlafen, wenn das Baby schläft. Das drosselt auch den Hunger. Oder man kann Hilfe organisieren. Auch Entspannungsübungen und Bewegung helfen gegen die negativen Folgen zu kurzer Nächte. Abstillen ist nicht sinnvoll, weil Stillen den Kalorienverbrauch der Mutter erhöht und das Kind langfristig vor Übergewicht schützt.
Gerade Eltern, die selber übergewichtig sind, verharmlosen den Babyspeck ihrer Kinder.
Das ist tatsächlich so. Studien zeigen, dass Eltern das Gewicht ihrer Kinder oft nicht richtig einschätzen können. Viele beurteilen ihr Kind auch mit massivem Übergewicht noch als normalgewichtig. Mit etwa vier Jahren sollte ein Kind den Babyspeck verloren haben. Auch das Umfeld sollte wachsam bleiben und die Eltern sanft darauf aufmerksam machen, wenn ein Kind übergewichtig ist. Denn man tut ihm nichts Gutes, wenn man ihm nicht hilft.
Warum ist ein gesundes Körpergewicht für die ganze Familie wichtig?
Übergewicht ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern zieht gravierende gesundheitliche Folgen nach sich. Aus übergewichtigen Kindern werden mit hoher Wahrscheinlichkeit übergewichtige Erwachsene. Auch Kinder mit übergewichtigen Eltern haben ein hohes Risiko, selber einmal dick zu werden. Ich empfehle, Übergewicht möglichst früh vorzubeugen, damit Gewichtsprobleme nicht zum ständigen Begleiter des Lebens werden.
Mit welcher Methode nimmt man am besten ab?
Zahlreiche Studien belegen, dass eine kohlenhydratarme Ernährung (LOGI-Methode) einer fettarmen überlegen ist und man damit besser und langfristig abnehmen kann. Oder einfach ausgedrückt: Zu viel Stärke und Zucker – insbesondere in Kombination mit Bewegungsmangel – machen dick und krank. Auch die gleichzeitige Aufnahme von Kohlenhydraten und Fetten fördert Übergewicht. Kohlenhydrate liefern lediglich Energie, sind aber nicht lebensnotwendig, Proteine und Fettsäuren hingegen schon. Deshalb sollte der Kohlenhydratanteil reduziert und sollten Lebensmittel gegessen werden, die anhaltend satt machen, etwa Eiweisse, Nahrungsfasern und Wasser. Kohlenhydrate aus Vollkorn, Gemüse und Früchten sind besser als der Zucker in Süssgetränken.
Wie oft am Tag sollte man etwas essen?
Fakt ist: Fettzellen werden erst angegriffen, wenn längere Zeit kein Kohlenhydratnachschub erfolgt. Genau deswegen sollten wir wenn möglich höchstens dreimal täglich essen – und dazwischen nicht naschen. Dies gibt dem Körper die Gelegenheit, die eigenen Fettdepots anzugreifen, anstatt sich den immer von neuem ankommenden Kohlenhydraten zu widmen – das Gewicht sinkt. Ich empfehle zudem, das Abendessen frühzeitig (z.B. um 18 Uhr) einzunehmen und danach nicht mehr zu naschen. Der Genuss von Snacks am Abend führt zu einem hohen Insulinspiegel und zum Speichern von Fett. Man sollte aber auch nicht warten, bis Heisshunger aufkommt. Deshalb kann es auch für übergewichtige Menschen sinnvoll sein, morgens und nachmittags eine kleine kohlenhydratarme Zwischenmahlzeit einzunehmen, etwa ein Stück Käse und ein Rüebli oder eine Handvoll Nüsse. Milchprodukte wie Käse helfen beim Abnehmen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder und Erwachsene, die regelmässig Milch und Milchprodukte konsumieren, schlanker sind als solche, die darauf verzichten.
Sollen Übergewichtige komplett auf Kohlenhydrate verzichten?
Ich empfehle eine ausgewogene Mischkost mit viel Gemüse und Salat, genügend Proteinen und hochwertigen Fetten. Kohlenhydrate soll man nicht weglassen, sondern sinnvoll reduzieren. Statt zum Fischfilet sieben Kartoffeln zu essen und auf die Mayonnaise zu verzichten, lieber nur eine Kartoffel, ein grosser Berg Spinat und etwas Mayonnaise. Viele Familien essen extrem kohlenhydratreich, der Blutzucker- und der Insulinspiegel sind immer hoch: Nutella-Brot zum Frühstück, Guetsli zum Znüni, Pizza zum Zmittag und Pasta zum Znacht. Das ist für niemanden gesund. Es gilt die Regel, dass man sich die Kohlenhydrate dann leisten kann, wenn man sich viel bewegt. So ist zum Beispiel das Tortenstück nach dem flotten Sonntagsspaziergang in Ordnung. Eine kohlenhydratarme Kost ist auch für Kinder ohne Gewichtsprobleme eine gesunde Ernährung, die schmeckt. Treibt ein Kind viel Sport, stellt man ihm zusätzlich zum Essen noch ein Körbchen mit Brot hin.
Was empfehlen Sie normalgewichtigen Eltern, deren Kind übergewichtig ist?
Wichtig ist die Erkenntnis, dass gesunde Ernährung vorgelebt und nicht anerzogen wird. Eltern sollten aber gegenüber ihrem Kind nie von gesunder Ernährung sprechen. Denn damit kann es nichts anfangen. Entscheidend ist, dass das Essen dem Kind schmeckt. Auch wenn die Eltern normalgewichtig sind, empfehle ich eine Mischkost mit viel Gemüse und Salat sowie mit genügend Eiweiss und hochwertigen Fetten. Damit können Eltern etwas für ihre Gesundheit tun und zum Beispiel ihre Blutfettwerte verbessern.
Übergewichtige Kinder in der Schweiz
In der Schweiz sind aktuell jeder fünfte Junge und jedes sechste Mädchen übergewichtig oder sogar fettleibig. Vor allem Kinder und Jugendliche aus unteren sozialen Schichten und mit Migrationshintergrund sind von Übergewicht betroffen. Und es werden trotz vieler Gegenmassnahmen nicht weniger. Eine der Hauptursachen: ein hoher TV-Konsum. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder umso dicker sind, je mehr Stunden pro Tag sie vor dem Fernseher verbringen.
Tipps, die beim Abnehmen helfen
- Essen Sie viel Gemüse, Salat, Früchte sowie genügend Proteine und hochwertige Fette.
- Trösten und belohnen Sie Ihr Kind nicht mit Esswaren.
- Schaffen Sie eine reizarme Umgebung, indem Sie möglichst wenig Süssigkeiten herumliegen lassen.
- Halten Sie sich an die Regel: Maximal einmal pro Tag eine kleine Süssigkeit, oder geben Sie Ihrem Kind pro Woche eine Box mit einer Süssigkeitenration, die es selber einteilen kann.
- Trinken Sie Wasser und ungezuckerten Tee statt Süssgetränke.
- Essen Sie am Familientisch regelmässig gemeinsam, langsam und genussvoll.
- Schränken Sie den Medienkonsum Ihres Kindes ein, um es nicht mit Werbung für ungesunde Lebensmittel zu überfluten.
- Stellen Sie Regeln betreffend Medienkonsum auf, sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind sich viel bewegt.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.