Beziehungskrise Kind

Beziehungskrise

Für viele Paare ist ein gemeinsames Kind die Krönung ihrer Liebe. Im Gespräch erklärt Christine Harzheim, was Eltern wissen müssen, damit sie eine Beziehungskrise abwenden können.

Christine Harzheim, Psychologin und Eltern-, Paar- und Familienberaterin, Bern

Warum führt die Familiengründung oft zur Krise?

Vor dem ersten Kind unterschätzen Eltern meist, was ein Alltag mit Baby bedeutet. Plötzlich ist da jemand, dessen Bedürfnisse absolute Priorität haben, und zwar rund um die Uhr. Vor allem im ersten Halbjahr bleiben die Bedürfnisse der Eltern auf der Strecke und Atempausen fehlen. Die Eltern sind auf das Glück vorbereitet, aber nicht darauf, wie sie sich fühlen und reagieren, wenn das Kind viel weint und nicht schläft. Weil die meisten Familien heute nicht mehr in eine Grossfamilie eingebettet sind, fehlen diese Informationen und die Unterstützung.

Manche frischgebackenen Eltern hoffen, dass ein Kind die kriselnde Beziehung kittet. Wie gross sind die Chancen dafür?

Das funktioniert eher nicht. Ein Baby bedeutet neben dem Glück viel Alltagsstress. Ist sonst alles entspannt, überstehen die meisten Eltern diese Zeit unbeschadet. Bestehen aber ungelöste Paarkonflikte, potenziert sich der Stress. Wenn die Eltern dazu noch die Erwartung haben, dass sich das Kind positiv auf die Beziehung auswirken wird, drohen Enttäuschung und Frust. Ein Baby nimmt Spannungen wahr und wird dadurch unruhig: Es weint mehr und schläft schlechter.
Häufig wendet sich die Mutter, manchmal auch der Vater in der kriselnden Beziehung verstärkt dem Kind zu, um das eigene Bedürfnis nach Nähe zu stillen. Das kann langfristig die Entwicklung des Kindes zur Eigenständigkeit beeinträchtigen.

Welche Veränderungen führen besonders häufig zu Konflikten, wenn aus einem Paar eine Familie wird?

Am Anfang dreht sich alles ums Baby, alles ist neu und die Familie lebt in einer Art Blase. In der ersten Zeit bleiben meist die Mütter zu Hause beim Kind, der Vater geht zur Arbeit und ist deshalb oft nicht mehr ständiger Teil dieser Familienintimität. Manche Mütter erhalten durch den engen Kontakt zum Baby genug Zärtlichkeit und Nähe, sie erleben ihren Körper als «besetzt» und haben kaum mehr Interesse an Sex. Die Männer hingegen sehnen sich in ihre «alte» Beziehung zurück. Sie fühlen sich dauerhaft in die «B-Mannschaft» versetzt und vermissen Intimität und Sexualität mit ihrer Partnerin. Oft entsteht ein Teufelskreis: Der Mann beginnt zu drängeln, die Frau entzieht sich … Unter dieser Situation leiden viele Männer sehr.

Was raten Sie Paaren, damit die Sexualität nicht zum Problem wird?

Es hilft, wenn Paare sich bewusst sind, dass auch dieser Teil der Beziehung zunächst mal massive Veränderungen erfahren wird. Wann und wie stark sich nach der Geburt die Erwachsenenbedürfnisse wieder bemerkbar machen, kann bei den Partnern sehr unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse beider nicht als gut oder schlecht bewertet werden. Bedürfnisse sind immer legitim, man darf sie wahrnehmen und äussern und sollte Unterschiede anerkennen. Oft werfen sich Paare ihre Bedürfnisse vor: Sie sagt «Du willst immer nur Sex!», und er klagt «Du willst ja nie!». Das führt nicht weiter. Manchmal stecken hinter den Forderungen tiefere Bedürfnisse. Geht es um den Geschlechtsverkehr oder einfach um intensivere Nähe? Oder vermisst man die ungestörte Intimität? Oder zweifelt man daran, dass man noch geliebt wird?
In einem möglichst offenen Dialog über die eigenen Sehnsüchte kann man gemeinsam schauen, wie man mit den Unterschieden umgehen möchte, so dass beide damit leben können.

Viele Paare haben aber Mühe, darüber zu sprechen.

Ja, zum Teil ist das Reden darüber reduziert auf vorwurfsvolle Äusserungen wie «Wir schlafen ja gar nicht mehr miteinander» oder «Ich habe halt keine Lust». Hier entsteht Frust. Eine Seite zieht sich immer mehr zurück, während die andere fordert und drängt, was wieder neue Fluchtimpulse auslöst. Im Dialog kann man diese Dynamik unterbrechen. Das gelingt, wenn beide Parteien sich offen zeigen und sich ehrlich für die Sicht des anderen interessieren. Wenn sexuelle Probleme die Beziehung dauerhaft und massiv belasten, empfiehlt es sich, professionelle Unterstützung zu holen.

Die erste Zeit ist auch für die Mütter schwer.

Ja, die Tatsache, dass meist die Mutter in den ersten Monaten rund um die Uhr fürs Kind da ist, die körperliche Belastung und der seelische Ausnahmezustand durch Schlafmangel und hormonelle Umstellung führen dazu, dass Pausen und die Ich-Zeit fehlen. Je nach Temperament des Babys und der praktischen Unterstützung in der Anfangszeit bleiben die eigenen Bedürfnisse und Gefühle auf der Strecke. Manche Frauen haben Mühe mit ihrer neuen Rolle. Wenn sie beruflich zurückstecken, befürchten sie, den Anschluss im Job zu verlieren.

Mütter wünschen sich vom Partner, dass er sich mehr einbringt. Wie kann das gelingen?

Ich erlebe viele Mütter als ambivalent. Sie wünschen sich zwar, dass der Partner sich einbringt, aber er soll es nach ihren Vorstellungen tun. Viele Väter möchten sehr gern mehr übernehmen, werden aber ausgebremst, weil die Mutter bestimmen möchte, wie der Vater sich einzubringen hat. Männer haben oft einen anderen Zugang zum Kind und zum Haushalt. Anders, aber nicht weniger wertvoll. Daraus ergeben sich häufig Konflikte. Viele Väter hören von ihrer Partnerin: «Nun tu was! … aber doch nicht so!», als ob Männer nicht in der Lage wären, empathisch zu sein und sorgfältig mit einem Baby umzugehen. Diese Kritik verunsichert sie und lässt sie passiv werden, was die Entstehung einer tiefen Vater-Kind-Beziehung erschwert. Während manche Mütter sich so in die Expertenrolle manövrieren und das Gefühl haben, alles überwachen zu müssen, sind manche Väter entmutigt und ziehen sich immer mehr zurück. Die Mütter sind dann überfordert und verzweifelt, weil alles auf ihnen lastet. Die Väter wirken desinteressiert, leiden aber auch. Eigentlich sind Väter von heute aber grundsätzlich sehr interessiert an ihren Kindern und wollen einen wichtigen Beitrag im Familiensystem leisten.

Wie wichtig sind Auszeiten zu zweit?

Sehr wichtig. Eine Beziehung braucht gemeinsames Erleben. Spass miteinander und Intimität nähren eine Beziehung. Natürlich verträgt die Beziehung in den ersten Wochen, dass sich alles ums Baby dreht, aber irgendwann wird der Boden dünner, wenn die Paarbeziehung nicht gelebt wird. Und er fehlt dann in den kommenden anstrengenden Phasen. Ich empfehle Paaren, pragmatisch zu denken und auch in die Unterstützung im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung zu investieren, wenn das finanziell möglich ist. Eine Auszeit muss nicht ein Wochenende im Wellness-Hotel sein. Man kann auch die Grosseltern bitten, das Kind für eine Nacht zu sich zu nehmen, um dann zu Hause auf dem Sofa zusammen abzuhängen oder im Wald spazieren zu gehen.
Eltern, die regelmässig etwas Schönes zu zweit geniessen, können besser damit umgehen, wenn es mit den Kindern mal schwierig ist. Spätestens in der Pubertät zahlt es sich aus, wenn die Eltern sich um ihre Beziehung gekümmert haben. Kinder wünschen sich auch, dass es den Eltern miteinander gut geht.

Warum braucht jeder auch Auszeiten für sich?

Wenn es den Erwachsenen nicht gut geht, leidet die Familie. Sich über die eigenen Grenzen hinaus für die anderen zu verausgaben, schadet nicht nur den Erwachsenen selber, sondern erzeugt bei den Kindern Sorgen und Schuldgefühle. Priorität hat also auf Dauer, dass die Eltern Verantwortung für ihr eigenes Wohlergehen übernehmen. «Was brauche ich an Raum und Eigenständigkeit, damit ich mich auf Dauer nicht verliere?» Erst danach kommt die Frage «Was brauchen wir als Paar?», und dann schliesslich «Was brauchen wir als Familie, damit sich alle aufgehoben fühlen?».

Wie können Eltern Konflikte lösen?

Eltern sollten immer wieder den Dialog suchen: Sich offen zeigen im Gespräch mit Gefühlen, Sorgen, Verletzlichkeiten. Und sich wirklich dafür interessieren, was der andere sagt und zeigt. Sie sollten aus dem Kampf aussteigen, in dem es darum geht, wer Recht hat, und bei dem am Ende immer einer unterliegt. Ist das nicht möglich, kann man sich professionelle Hilfe holen. Konflikte im geschützten Rahmen unter Moderation einer aussenstehenden Person anzusprechen und neue Aspekte kennenzulernen, gibt Impulse und hilft im Zusammenleben.

Wann sollten Eltern besser getrennte Wege gehen?

Wenn es auf Dauer nicht gelingt, die Alltagsatmosphäre immer wieder zu entspannen. Vorwürfe, Mangel an Respekt oder gar Verachtung sind nicht geeignet, um Kindern Geborgenheit zu geben.

Tipps zur Vorbeugung einer Beziehungskrise

  • Informieren Sie sich gut über die erste Zeit mit einem Baby.
  • Machen Sie sich ein realistisches Bild davon, was auf Sie zukommt. Sprechen Sie mit anderen Eltern über die erste Zeit mit dem Baby.
  • Seien Sie sich bewusst, dass Eltern sehr tiefe Gefühle entwickeln können, auch negative.
  • Überlegen Sie sich, was Sie tun können, wenn Sie an Ihre Grenzen kommen.
  • Nehmen Sie jede Unterstützung an, wenn Sie sie brauchen.
  • Holen Sie sich Beratung, wenn es Probleme gibt.

Tipps bei unterschiedlichen Vorstellungen über Erziehung

  • Seien Sie sich bewusst, dass Ihre Vorstellungen über Erziehung von Ihren eigenen Kindheitserfahrungen geprägt sind.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Partner über Ihre Vorstellungen, Ihre Erfahrungen und Ihre Ängste.
  • Verzichten Sie auf Vorwürfe wie «Du lässt alles durchgehen!» oder «Du bist zu streng!».
  • Erklären Sie Ihrem Partner lieber, warum Ihnen etwas so wichtig ist.
  • Lassen Sie sich bei grossen Differenzen beraten.