Unruhige Babys

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Wenn ein Säugling viel schreit, kommen manche Eltern an ihre Grenzen. Im Gespräch erklärt Susanna Fischer, was im Umgang mit dem Schreien hilft.

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Susanna Fischer, Säuglingsexpertin, Leitung Familienpraxis Stadelhofen, Zürich, www.susannafischer.ch

Was steckt hinter exzessivem Schreien?

Häufig Stress, Überforderung, Überreizung oder Irritation. In Bezug auf das Wohlbefinden bewegt sich ein Neugeborenes grundsätzlich auf einem schmalen Grat. Seine Stimmung kann leicht kippen.

Sie empfehlen Eltern von Babys, die viel schreien, eine kinderärztliche Konsultation. Weshalb?

Eltern eines exzessiv schreienden Kindes werden unsicher und fühlen sich hilflos, weil sie keine Strategie finden, um das Baby zu beruhigen. Für sie ist es wichtig, zu hören, dass mit ihrem Kind körperlich alles in Ordnung ist und es keine Schmerzen hat.

Manche Eltern suchen die Schuld bei sich, wenn das Kind viel schreit. Tragen sie tatsächlich die Verantwortung?

Babys kommen unterschiedlich ausgerüstet zur Welt. Manchen gelingt es leicht, sich zu beruhigen, anderen eben nicht. Für exzessives Schreien gibt es keine Schuldigen. Allerdings spielt die Reaktion der Eltern eine wesentliche Rolle. Werden sie unruhig und hektisch, wenn das Baby schreit, wird es sich eher nicht so leicht beruhigen. Umgekehrt kann Gelassenheit sich förderlich auswirken.

Manche Eltern verfallen in Aktionismus, wenn ihr Kind schreit. Warum hilft Hektik nicht?

Ein Neugeborenes ist darauf angewiesen, dass seine Eltern ihm helfen, sich zu beruhigen und zu entspannen. Wenn ein Baby schreit, braucht es vor allem Ruhe, Sicherheit und Halt. Ich empfehle Eltern, Reizquellen immer mal wieder auszuschalten. Ruhe strahlen Eltern aus, wenn sie selbst ruhig bleiben und zum Beispiel langsam und tief in den Bauch atmen, vor allem aber dem Kind körperlichen und emotionalen Halt geben. Ihre Ruhe überträgt sich auf das Kind. Am besten gehen sie zum Baby hin und signalisieren ihm damit, dass sie sein Unwohlsein wahrnehmen. Sicherheit vermitteln sie ihm durch die Etablierung eines Rhythmus. Emotionalen Halt können sie ihm geben, indem sie es trösten. Körperlichen Halt erfährt es, wenn es von einer Bezugsperson nah am Körper gehalten wird, Bauch an Bauch. Sie kann mit dem Kind im Zimmer ruhig auf und ab gehen oder sich einfach hinsetzen. Das Kind soll wissen, dass es im Beisein seiner Eltern auch mal weinen darf. Dadurch kann es Spannung abbauen. Kinder, die nie weinen dürfen, schreien später oft besonders intensiv.

Was kann Eltern helfen, im Affekt nicht gefährlich zu handeln und ihr schreiendes Kind zu schütteln?

Ich empfehle frischgebackenen Eltern, ehrlich darüber zu reden, wie es ihnen geht, und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie müssen immer wieder versuchen, sich zu entspannen, und sich überlegen, welche Ressourcen sie haben. Gestresste Eltern verlieren schnell die Fassung, wenn das Baby schreit, weil sie ihre innere Spannung nicht aushalten.

Weshalb ist auch der Austausch mit anderen Eltern wichtig?

Viele Eltern versuchen lange, nach aussen hin ein Bild aufrechtzuerhalten, das nicht der Realität entspricht. Sie wollen gut dastehen, gehen aber mit ihrem Kind von einem Arzt zum nächsten und probieren diverse Therapien aus. Wenn die Eltern zu Hause am Limit laufen und nicht darüber sprechen, wie es ihnen tatsächlich geht, kostet sie das viel Energie. Oft gehen dann auch die Feinfühligkeit und das liebevolle Verhältnis zum Kind verloren. In der Folge fällt es ihnen immer schwerer, adäquat auf die Bedürfnisse des Babys einzugehen.

Wie können Eltern sich gegenseitig unterstützen?

Wer nicht mehr kann, soll dies dem Partner mitteilen. Einen Säugling muss man nicht zu zweit beruhigen. Das ist oft zu viel Aufmerksamkeit für das Kind. Grundsätzlich empfehle ich Eltern, nicht nur das Baby im Fokus zu haben, sondern sich auch über andere Themen auszutauschen. Eine Pause vom Kind, etwa bei einer Tasse Kaffee mit einer Freundin, kann helfen, die Batterien aufzuladen.

Welche Rolle spielt eine geregelte Tagesstruktur für exzessiv schreiende Babys?

Ein regelmässiger Tagesablauf hilft dem Kind, sich an das Leben nach der Geburt zu gewöhnen. Ändert er sich ständig, ist das für sensible, leicht irritierbare Kinder eine grosse Herausforderung. Nach ein paar Wochen sollte sich ein gewisser Rhythmus etabliert haben. Wichtig sind dabei zum Beispiel Stillpausen von mindestens zwei Stunden. Nimmt eine Mutter ihr Baby alle halbe Stunde an die Brust, weil es schreit, ist das für eine geregelte Tagesstruktur suboptimal.

Viele Kinder schreien vor allem am Abend. Was können Eltern tun, damit das Zubettgehen stressfrei abläuft?

Der Abend ist in vielen Familien schwierig. Oft schreien Kinder abends, weil sie tagsüber von Sinnesreizen überflutet wurden. Babys brauchen immer wieder Pausen, um in einen entspannten Zustand zu kommen. Manche Eltern unterliegen einem Missverständnis und tragen ihr Kind schon mit wenigen Monaten mit dem Blick in Laufrichtung durch die Stadt. Aber auch wenn das Kind mit Interesse auf seine Umgebung reagiert, führt das unweigerlich zu einer Reizüberflutung.
Schreit ein Baby zum Beispiel immer gegen 18 Uhr, kann es helfen, wenn die Eltern es schon einige Zeit vorher ins Tragetuch nehmen oder zur Entspannung in ein Stillkissen legen, so dass es gar nicht erst zu schreien beginnt.

Die meisten Eltern wissen, dass sie in der ersten Zeit nach der Geburt nicht durchschlafen können. Es gibt aber Eltern, deren Kind schon 18 Monate alt ist und die nachts immer noch mehrmals aufstehen. Was raten Sie?

Für eine sichere Bindung ist es wichtig, dass die Eltern prompt und adäquat auf das Weinen ihres Kindes reagieren. Das bedeutet aber nicht, dass sie nachts gleich losspurten müssen, sobald es den ersten, kaum hörbaren Ton von sich gibt. Wenn das Kind schreit, sollen sie zu ihm gehen, es jedoch nicht sofort aufnehmen. Ich empfehle, dass die Mutter oder der Vater dem Kind eine Hand auf die Brust legt und in beruhigendem Ton mit ihm spricht. So hat es die Chance, sich im Beisein der Eltern selbst zu beruhigen. Dadurch kann es Spannung abbauen. Kinder, die nie weinen dürfen, verlegen sich oft aufs Dauerquengeln oder auf schrilles Schreien.
Ich beobachte heute, dass viele Eltern das Schreien nicht aushalten können und alles daransetzen, dass das Kind sofort damit aufhört. Das ist nicht nur unheimlich belastend für die Eltern, sondern führt auch dazu, dass Kinder heute oft wenig belastbar sind. Viele Kinder können nicht auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten. Für sie bricht im Kindergarten eine Welt zusammen, wenn sie nicht sofort an die Reihe kommen oder das Spiel nicht bestimmen dürfen. Kinder, die nicht lernen, Wünsche und Bedürfnisse auch mal zurückzustellen, sind nicht in der Lage, inneren Halt oder Frustrationstoleranz aufzubauen. Dies wiederum kann die Eltern auf die Dauer derart belasten, dass es zu einem Burnout kommt.

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Unruhige BabysViburcol® kann zur symptomatischen Behandlung von körperlichen Unruhezuständen verbunden mit Weinerlichkeit und Schlaflosigkeit sowie bei Zahnungsbeschwerden und Blähkoliken eingesetzt werden.
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Dies ist ein zugelassenes Arzneimittel. Bitte lesen Sie die Packungsbeilage.
Zulassungsinhaberin: ebi-pharm ag, 3038 Kirchlindach

Wie sinnvoll ist ein Nuggi?

Susanna Fischer berät in ihrer Praxis viele Eltern, die ihrem Kind keinesfalls einen Nuggi geben wollen. Tatsache ist aber, dass die orale Stimulation für den Säugling in den ersten Monaten die beste Methode ist, sich auch selbst zu beruhigen. Die Säuglingsexpertin empfiehlt deshalb, dem Kind von Anfang an einen Nuggi oder ein Nuschi anzubieten, weil diese dem Kind helfen, Spannung abzubauen und sich zu beruhigen. Die Expertin rät davon ab, emotionalem Unwohlsein des Kindes stattdessen mit Stillen oder Schöppeln zu begegnen. Später wird das Kind lernen, sich anders zu beruhigen.

Filed under: deutsch, Entwicklung

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Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.