Alkohol in der Schwangerschaft

Alkohol in der Schwangerschaft

In der Schweiz leidet eins von hundert Kindern an den Folgen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft.

Alkohol geniesst in unserer Gesellschaft hohe Akzeptanz, für viele gehört zu einem guten Essen ein Glas Wein. «Dadurch geraten viele Mütter in einen Konflikt», erklärt Denise Degen vom Berufsverband Schweizerischer Stillberaterinnen IBCLC, «sie wollen bei gesellschaftlichen Anlässen nicht abseitsstehen, aber auch die Gesundheit des Ungeborenen schützen.» Wenn eine werdende Mutter alkoholische Getränke konsumiert, gelangt nicht nur der Alkohol, sondern auch das Abbauprodukt Azetaldehyd über die Plazenta ungehindert in den Blutkreislauf des Kindes. Der Organismus des Ungeborenen kann den Alkohol nicht wie jener eines Erwachsenen abbauen und bleibt den schädigenden Wirkungen länger ausgesetzt. Ob der mütterliche Alkoholkonsum negative Folgen für das Kind hat, hängt davon ab, wie viel, wie oft und zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft die werdende Mutter trinkt. Nicht jedes Kind trägt Schäden davon, wenn seine Mutter während der Schwangerschaft viel Alkohol trinkt. Das Risiko wird durch Faktoren wie den Gesundheitszustand der Schwangeren, die Ernährung und genetische Aspekte beeinflusst.
Daniel Surbek, Chefarzt an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern, sagt: «Vermutlich sind kleine Mengen Alkohol für das Ungeborene nicht schädlich, aber eine sichere Untergrenze gibt es nicht.» Damit sie kein Risiko eingehen, empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Schwangeren heute, ganz auf alkoholische Getränke zu verzichten.

Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft

Der Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft ist eine der häufigsten nichtgenetischen Ursachen für körperliche und geistige Behinderungen von Kindern. Trinkt die werdende Mutter regelmässig grössere Mengen an alkoholischen Getränken, erhöht sich das Risiko, dass ihr Kind mit einem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) (siehe Textkasten) zur Welt kommt. Diese Störung ist gekennzeichnet durch eine Verzögerung der Entwicklung von Zellen und Organen und betrifft in der Schweiz etwa jedes tausendste Kind. Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft viel getrunken haben, sind oft auffällig klein und untergewichtig. Ihr Saugreflex ist nicht voll entwickelt. Zudem ist ihr zentrales Nervensystem geschädigt, und ihr Kopf weist spezifische Merkmale auf, die für dieses Syndrom typisch sind. Betroffene Kinder leiden häufig an Schlafstörungen und einer Verzögerung der geistigen Entwicklung, sind weniger intelligent, haben Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprobleme, leiden an Feinmotorik-, Sprech- und Hörstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität und sind daher ihr Leben lang auf Unterstützung angewiesen.

Alkohol und Fruchtbarkeit

Generell reagieren Frauen empfindlicher auf Alkohol als Männer. Bei gleichem Gewicht und gleicher Menge Alkohol ist dessen Konzentration im Blut von Frauen höher als im Blut von Männern. Frauen, die sich ein Kind wünschen, sollten möglichst auf Alkohol verzichten oder nur wenig und nicht jeden Tag davon konsumieren, denn bis der Kinderwunsch realisiert und die Schwangerschaft festgestellt werden kann, vergeht meist einige Zeit. Wird Alkohol zwar nur gelegentlich, dann aber in grösseren Mengen konsumiert, ist das besonders riskant und kann zu einer Fehlgeburt führen.

Die kritische Phase

Heute weiss man, dass der Konsum von Alkohol in der Phase zwischen der Befruchtung und dem Einnisten der befruchteten Eizelle (ca. 7–10 Tage) beim werdenden Kind keine bleibenden Schäden verursacht. Das Risiko für gesundheitliche Probleme ist in der zweiten Hälfte des ersten Trimesters am höchsten. In dieser Zeit bilden sich unter anderem die Anlagen für innere Organe, das Skelett mit den Muskeln, die Augen und das Nervensystem. Daniel Surbek ergänzt: «Alkohol kann während der gesamten Schwangerschaft die Hirnentwicklung schädigen.»
Hat eine Frau Alkohol konsumiert, ohne von der Schwangerschaft zu wissen, sollte sie sich aber nicht verrückt machen. Das Risiko für eine Schädigung des Kindes sinkt, wenn sie während des weiteren Verlaufs der Schwangerschaft keinen Alkohol mehr trinkt.

Alkohol in der Stillzeit

Da Alkohol auch in die Muttermilch gelangt, empfiehlt der Berufsverband der Schweizerischen Stillberaterinnen stillenden Müttern, auf alkoholische Getränke möglichst zu verzichten. Die Leber von Säuglingen ist noch unreif, was den Abbau von Alkohol erschwert. Studien belegen, dass gestillte Kinder weniger Milch trinken, wenn sie Alkohol enthält. Die Stillberaterin Denise Degen ergänzt: «Alkohol hemmt den Milchspendereflex und die durch das Saugen ausgelöste Ausschüttung von Prolaktin, wodurch die Milchproduktion gedrosselt wird.» Wer nicht ganz darauf verzichten will, sollte sich auf ein Glas Wein, eine Stange Bier oder ein Gläschen Schnaps ein- oder zweimal die Woche beschränken und danach mit der nächsten Stillmahlzeit mindestens zwei Stunden warten. Trinkt die Stillende mehr, sollte sie die Muttermilch für ein bis zwei Mahlzeiten abpumpen und verwerfen.

Die Rolle des Partners und des Umfeldes

Der Partner und die Menschen aus dem Umfeld der Schwangeren können diese dabei unterstützen, keinen oder nur wenig Alkohol zu trinken. Markus Meury von Sucht Schweiz erklärt: «Am leichtesten fällt der werdenden Mutter der Verzicht, wenn der Partner während ihrer Schwangerschaft und der Stillzeit ebenfalls keinen Alkohol konsumiert.» Zudem rät er, bei Einladungen den Gästen attraktive alkoholfreie Getränke zu servieren. Das Umfeld sollte Mütter nicht dazu überreden, «nur ein Gläschen zum Anstossen» zu trinken.

Wenn der Verzicht schwerfällt

Schwangeren, die auf alkoholische Getränke nicht verzichten wollen, empfiehlt Sucht Schweiz, nicht jeden Tag und möglichst nicht mehr als einmal pro Woche Alkohol zu trinken. Auch ihnen wird empfohlen, nicht mehr als ein Glas Wein, eine Stange Bier oder ein Gläschen Schnaps an einem Tag zu trinken. Auf jeden Fall sollte die Schwangere Rauschtrinken vermeiden, da hier die Gefahr einer Schädigung des Kindes am grössten ist. Wer kein Risiko eingehen will, verzichtet während der Schwangerschaft und der Stillzeit am besten ganz auf Alkohol. Schwangere, die dem regelmässigen Alkoholkonsum nicht entsagen können, wenden sich am besten frühzeitig an ihren Arzt oder an eine Beratungsstelle für Alkoholprobleme.

Welche Merkmale sprechen für ein Fetales Alkoholsyndrom?

  • Wachstumsverzögerung (Minderwuchs, Untergewicht
  • körperliche Auffälligkeiten, insbesondere am Kopf und im Gesicht (z.B. geringer Kopfumfang, Hautfalten an den Augenwinkeln, kleine Augen, tiefe Nasenbrücke, kurze, abgeflachte Nase, dünne Oberlippe, keine Rinne zwischen Oberlippe und Nase)
  • Schädigung des zentralen Nervensystems

Info zum Risiko

Frauen, die während der Schwangerschaft täglich viel Alkohol, also mehr als zwei Gläser Wein, zwei Stangen Bier oder zwei Gläschen Schnaps pro Tag konsumieren, haben ein Risiko von 30–40%, dass ihr Kind mit einem Fetalen Alkoholsyndrom zur Welt kommt. Auch episodisches Rauschtrinken und ein Alter von über 30 Jahren erhöhen das Risiko markant.

Alkoholkonsum und Kinder

Eine englische Studie hat ergeben, dass Alkoholkonsum in Gegenwart von Kindern für diese belastend sein kann. Kinder nehmen Änderungen im Verhalten der Eltern wahr, auch wenn diese nur wenig getrunken haben oder nur leicht beschwipst sind. Manche der befragten Kinder schämten sich für ihre Eltern oder machten sich Sorgen um sie. Einige erlebten, dass die Eltern mehr mit ihnen schimpften oder unberechenbar reagierten. Manche erhielten weniger Aufmerksamkeit von den Eltern. Zudem wurde durch den Alkoholkonsum das Zubettgeh-Ritual gestört. Wenn Eltern in Gegenwart ihrer Kinder oft Alkohol konsumieren und ein Kater am nächsten Tag als normal gilt, kann dies dazu führen, dass die Kinder später als Erwachsene selbst viel Alkohol trinken. Eltern sollten die Risiken von Alkohol früh mit ihren Kindern thematisieren.