Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt die Gabe von Vitamin D ab Geburt. Warum dies so wichtig ist, erklärt Prof. Dr. med. Christian P. Braegger, Abteilungsleiter Gastroenterologie und Ernährung am Universitäts-Kinderspital Zürich, im Interview.
Welche Funktionen beeinflusst Vitamin D im Körper?
Vitamin D spielt eine zentrale Rolle im Kalzium-Stoffwechsel. Unser Skelett braucht dieses Vitamin für den Aufbau und den Unterhalt der Knochen. Ein Mangel an Vitamin D kann zur Verformung der Knochen führen, zur sogenannten Rachitis. Auch das Wachstum wird dadurch beeinträchtigt. Vitamin D beeinflusst zudem die Versorgung der Zähne mit Mineralstoffen. Fehlt es dem Körper an Vitamin D, schadet dies der Zahngesundheit – das Kariesrisiko steigt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich ein Vitamin D-Mangel negativ auf das Immunsystem auswirken kann.
Sehen Sie am Kinderspital Zürich Kinder, die an den Folgen eines Vitamin-D-Mangels leiden?
Nur noch selten sehen wir Säuglinge, die an Krämpfen leiden, weil ihr Kalziumspiegel aufgrund eines Vitamin-D-Mangels zu tief ist. Auch Fälle von klinisch ausgeprägter manifester Rachitis treten bei uns kaum mehr auf.
Vitamin D ist in pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln enthalten. Könnte die Versorgung nicht durch die Ernährung sichergestellt werden?
Die Hauptquelle von Vitamin D ist die Sonne. Vitamin D ist ein Hormon, das sich unter Sonneneinstrahlung in unserer Haut bildet. In der Nahrung ist das Vitamin zwar auch enthalten, aber nur in wenigen Nahrungsmitteln und meist nur in kleinen Mengen, zum Beispiel in Milchprodukten wie Butter und Käse oder in Eigelb. In höherer Konzentration findet man Vitamin D in wildlebendem Fisch und in Pilzen wie Shitake und Champignon. Um den Vitamin-D-Bedarf ausschliesslich mit der Ernährung zu decken, müsste man grosse Mengen dieser Lebensmittel essen.
Wie lange müssen sich Erwachsene im Freien aufhalten, damit ihr Körper genügend Vitamin D bildet?
Das hängt vom Hauttyp ab. Je heller die Haut ist, desto grösser ist ihre Fähigkeit, Vitamin D zu bilden. Bei einem hellen Hauttyp reicht eine Sonnenexposition von 10 Minuten im Juli, um 1000 Einheiten Vitamin D zu bilden. Beim südeuropäischen Hauttyp braucht es eine Viertelstunde, bei Menschen mit dunkler Haut viel länger. Im Winterhalbjahr steigt das Risiko für einen Vitamin-D-Mangel, weil dann die Sonnenexposition in unseren Breitengraden nur schwach ist.
Wie sieht es bei Kindern mit der Sonnenexposition aus?
Im ersten Lebensjahr sollten Säuglinge aus gesundheitlichen Gründen nicht direkt der Sonne ausgesetzt werden. Ihre Haut ist sehr empfindlich und anfällig für Sonnenbrand. Die tägliche Gabe von Vitamin D im ersten Lebensjahr ist deshalb ein Muss, selbst bei gestillten Kindern, denn die Muttermilch enthält meist nur wenig Vitamin D. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt, die Vitamin-D-Supplementation auch im zweiten und dritten Lebensjahr weiterzuführen. Im Kleinkindalter hängt die Notwendigkeit einer Supplementation auch von den Lebensumständen ab, zum Beispiel davon, ob sich ein Kind viel draussen bewegt oder ob es immer mit Sonnencreme mit sehr hohem Schutzfaktor eingecremt wird. Die Einnahme von Vitamin D ist auf jeden Fall bei Kindern mit dunkler Haut, mit Übergewicht und Kindern mit gewissen Krankheiten, die bestimmte Medikamente einnehmen müssen, empfohlen, weil dabei die Fähigkeit ihrer Haut, Vitamin D zu bilden, eingeschränkt ist. Sinnvoll ist die Supplementation auch bei Kindern, die ihre Haut aus kulturellen oder religiösen Gründen bedeckt halten müssen.
Ein hohes Risiko für einen Vitamin-D-Mangel haben nicht zuletzt Teenager, die vor allem nachts aktiv und dadurch wenig sonnenexponiert sind. Auch sie sind auf die Zufuhr von Vitamin D angewiesen. Jugendliche hingegen, die sich viel im Freien an der Sonne aufhalten, sind ausreichend mit Vitamin D versorgt.
Sind Babys und Kleinkinder in der Schweiz gut mit Vitamin D versorgt?
Heute halten sich viele Eltern an die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit und supplementieren ihre Kinder mit Vitamin D, vor allem im ersten Lebensjahr. Wer das nicht tut, schadet seinem Kind. Ohne Supplementation wäre der Vitamin-D-Spiegel im Blut im ersten Lebensjahr sehr tief, was Mangelerscheinungen zur Folge hätte.
Wie viel Vitamin D benötigen Kinder in den ersten drei Lebensjahren?
Im ersten Lebensjahr empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit 400 internationale Einheiten und im zweiten und dritten Lebensjahr 600 internationale Einheiten pro Tag.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.