Wie verschieden Babys sind, zeigt sich deutlich an der Sprachentwicklung. Die meisten Kinder beginnen um den ersten Geburtstag herum zu sprechen, ein paar wenige auch schon mit acht Monaten, andere erst mit dreissig Monaten.
Rund 15% der Kinder in der Schweiz gehören zu den Spätsprechern, das heisst, dass sie mit zwei Jahren weniger als fünfzig Wörter (inkl. Lautmalereien) sprechen und noch keine Zweiwortkombinationen bilden. Ein Kleinkind, das lange nicht oder nur wenig spricht, kann seine Eltern verunsichern. «Ein spätes Einsetzen der Wörter muss nicht unbedingt ein Zeichen für eine zu langsame oder ungewöhnliche Sprachentwicklung beim Kind sein», beruhigt Hilda Geissmann, Logopädin in Zürich, «etwa die Hälfte der Spätsprecher holt den Entwicklungsrückstand bis zum dritten Geburtstag auf.» Machen sich die Eltern Sorgen, sollten sie jedoch eine Fachperson beiziehen.
Sprache im Alltag erleben
Ein Kind lernt sprechen, indem es Gegenstände mit dem Mund oder den Händen befühlt und verschiedene Handlungen ausprobiert. Daraus entwickelt sich dann ein inneres Bild, und das Kind realisiert, dass sich Wörter auf konkrete Handlungen und Gegenstände beziehen. Es kann über diese Dinge sprechen, auch wenn sie nicht vorhanden sind. Spricht ein Kind nicht oder nur sehr wenig, können ihm die Eltern helfen, indem sie beim Baden, Anziehen, Spielen oder Einkaufen Gegenstände oder Handlungen immer wieder benennen. «In diesen alltäglichen Situationen und im gemeinsamen Spiel erfährt das Kind auf lustvolle Weise, dass es Spass macht, sich mitzuteilen», sagt Hilda Geissmann.
Aug in Auge
Spätsprecher setzen manchmal vor allem Mimik und Gestik ein, um sich mitzuteilen. Hilda Geissmann rät: «Eltern sollten ihrem Kind nicht jeden Wunsch von den Augen ablesen, sondern seine Kommunikationsversuche genau beobachten und ihm Wörter anbieten.» Das geht so: Versucht ein Baby, einen Ball zu erreichen, und macht dabei quengelnde Geräusche, können die Eltern fragen: «Ball? Willst du den Ball?» Das Kind signalisiert dann oft, dass die Eltern es richtig verstanden haben. Bei der Übergabe des Balls folgt der Kommentar: «Ball! Hier hast du den Ball.» Wichtig ist dabei, dass die Eltern mit dem Kind Blickkontakt halten und möglichst auf Augenhöhe mit ihm kommunizieren.
Sprechen ist komplex
Kinder brauchen Zeit, um sich sprachlich zu organisieren. Sie hören Äusserungen ihres Gegenübers, müssen diese entschlüsseln und verstehen und sich dann überlegen, welche Wörter sie wie gebrauchen, betonen und kombinieren müssen, um sich mitzuteilen. «Bei Kindern, die spät sprechen lernen, besteht die Gefahr, dem Kind für das Sprechen zu wenig Zeit zu lassen und es mit Sprache zu überfluten», weiss die Logopädin. Das Kind lernt es so nicht, dass es mit Worten etwas bewirken kann. Hilda Geissmann beobachtet aber auch das andere Extrem: «Manche Eltern von Spätsprechern hören selber auf zu sprechen, was natürlich nicht förderlich ist.»
Lernen durch Nachahmen
Kleine Kinder können ihre Aufmerksamkeit nur für Sekunden auf etwas Bestimmtes richten. Das sprachliche Angebot sollte deshalb kurz sein. Beobachtet das Kind einen Vogel, gestikuliert und klatscht dabei, übernehmen die Eltern diese Äusserungen und klatschen ebenfalls in die Hände, während sie das Wort «VVVooogel» stark betonen. «Nachahmung regt Nachahmung an», sagt Hilda Geissmann. Sie empfiehlt zudem, Bewegungen, Geräusche sowie Lautmalereien und Wörter des Kindes aufzugreifen und um ein bis zwei Wörter zu ergänzen.
So fördern Sie Sprachentwicklung des Kindes
- Sprechen Sie schon mit Ihrem Neugeborenen viel.
- Zeigen Sie selber Spass an der Kommunikation und der Sprache.
- Schauen Sie mit Ihrem Kind von klein auf Bilderbücher an, singen Sie mit ihm und machen Sie Sprechspiele.
- Lassen Sie sich von den Interessen Ihres Kindes leiten.
- Halten Sie Blickkontakt mit ihm. So bekommen Sie seine Aufmerksamkeit.
Haben Sie gewusst,
dass ein Kind rund drei- bis viermal mehr Wörter versteht, als es sprechen kann? Mit 10 Monaten versteht es etwa 10 Wörter, mit 13 Monaten etwa 50 Wörter und mit rund 16 Monaten bereits 100 Wörter. Mit 6 Jahren sind es dann zwischen 9000 und 14000 Wörter – aktiv benutzt das Kind jedoch nur 3000 bis 5000 Wörter.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.