Viele Eltern verstehen nicht, weshalb ihr Kleinkind in neuen Situationen schwierig tut. Manche sind deshalb frustriert und fragen sich, was sie falsch machen. Sarah Walder, entwicklungspsychologische Beraterin und Kursleiterin «Starke Eltern – starke Kinder», erklärt, warum Übergangsphasen für Kind und Eltern schwierig sein können und was dabei hilft.
Welche Gefühle lösen Übergänge, zum Beispiel der Besuch einer Kita oder der Eintritt in den Kindergarten, beim Kind aus?
Veränderungen können das Kind verunsichern und auch Ängste auslösen. Es muss lernen loszulassen. Wie sehr das Kind verunsichert ist, hängt auch davon ab, wie die Eltern sowie Fachpersonen in Kita und Kindergarten mit der Situation umgehen.
Warum haben auch manche Eltern Mühe, wenn ihr Kind mit der Kita oder dem Kindergarten beginnt?
Der Besuch einer Kita oder der Eintritt in den Kindergarten kann auch für die Eltern stressig sein und bei ihnen Unsicherheiten auslösen. Viele Eltern machen sich Gedanken, wie es ihrem Kind geht und wie sie es unterstützen können, damit es sich in der Kita oder im Kindergarten wohlfühlt. Hier spielt eine Rolle, wie sie selbst in ihrer Kindheit in neuen Situationen begleitet wurden.
Was sollen Eltern tun, wenn ihr Kind beim Abschied in der Kita weint?
Auf keinen Fall sollten die Eltern die Gefühle abtun mit Bemerkungen wie «Jetzt stell dich doch nicht so an!» Besser ist, die Gefühle des Kindes zu spiegeln und anzuerkennen und ihm zum Beispiel zu sagen «Ich verstehe, dass du jetzt gerade traurig bist». Die Eltern dürfen auch über ihre eigenen Gefühle sprechen und gegenüber ihrem Kind ausdrücken, dass ihnen der Abschied auch nicht leichtfällt, aber dass sie nun zur Arbeit müssen. Ich empfehle Eltern, immer genug Zeit für den Abschied einzuplanen.
Damit das Kind in der Kita nicht weint, können Rituale zu Hause sinnvoll sein. So können Eltern zum Beispiel mit ihm ein Büchlein anschauen oder auf die Hand des Kindes und auf ihre Hand einen Marienkäfer als Zeichen der Verbindung malen, bevor sie losgehen. Solche kleinen Rituale stärken das Kind für den Tag in der Kita und können dazu beitragen, dass ihm der Abschied leichter fällt.
Was kann die Kita tun, wenn ein Kind Mühe hat, sich von den Eltern zu verabschieden?
Die Betreuungsperson soll dem Kind und den Eltern Zeit lassen und keinen Druck auf das Kind ausüben, sondern es während des Abschiednehmens gut begleiten. Später kann sie den Eltern zum Beispiel eine Nachricht senden oder am Abend Fotos oder Videos des Kindes zeigen, damit die Eltern sehen, dass es ihrem Kind in der Kita gut geht.
Wenn es den Eltern gut geht, geht es meist auch dem Kind gut und umgekehrt.
Manche Kinder wollen nach der Kita nicht nach Hause. Was empfehlen Sie Eltern in dieser Situation?
Die Eltern sollten es nicht persönlich nehmen, wenn ihr Kind nach der Kita nicht nach Hause will. Dieses Verhalten ist ein Zeichen dafür, dass sich das Kind in der Kita wohlfühlt. Oft ist es gerade in ein Spiel vertieft und möchte deshalb nicht nach Hause. Sinnvoll ist, dem Kind beim Abschied aus der Kita Zeit zu lassen und ein Ritual mit ihm und der Kita-Betreuungsperson zu vereinbaren. Eltern sollten auch beim Abholen des Kindes aus der Kita klar kommunizieren und ihm zum Beispiel mit Hilfe einer Sanduhr erklären, dass es noch so lange spielen darf, bis der Sand unten ist. Mit der Uhrzeit können Kinder in diesem Alter noch nichts anfangen.
Ich rate davon ab, das Kind mit Schokolade oder anderen Leckereien dazu zu bringen, dass es nach Hause kommt. Gefühle sollten nie in Verbindung mit Essen gebracht werden, weil sich das langfristig ungünstig auswirkt. Es kann dazu führen, dass Betroffene später unangenehme Gefühle mit Essen regulieren.
Was hilft, wenn das Kind nach dem Besuch des Spielplatzes nicht nach Hause will?
Ich empfehle Eltern, ihrem Kind 15 bis 20 Minuten vorher anzukündigen, dass sie bald nach Hause wollen und ihm ein Zeitfenster zu geben, indem sie ihm zum Beispiel sagen «Jetzt kannst du noch zweimal rutschen». So hat das Kind Zeit, sich vom Spiel zu lösen. Manchmal müssen die Eltern aber einfach akzeptieren, dass das Kind motzt und weint. Das Kind darf auch mal hässig sein. Diese Gefühle dürfen Eltern anerkennen.
Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind nicht in den Kindergarten will?
Hier empfehle ich, genau hinzuschauen und die Gefühle des Kindes ernst zu nehmen, anstatt mit Bemerkungen wie «Du lernst sicher neue Freunde kennen» oder «Das ist nicht so schlimm» zu reagieren. Für das Kind ist es hilfreich, wenn es mit seiner Unsicherheit auf Verständnis bei den Eltern stösst.
Sinnvoll ist, das Kind Schritt für Schritt auf den Kindergarten vorzubereiten und zum Beispiel Bücher zum Thema anzuschauen, den Kindergarten vor Eintritt zu besuchen und die Dinge, die es für den Kindergarten braucht, nach und nach anstatt auf einmal einzukaufen.
Auch beim Eintritt in den Kindergarten sind Rituale hilfreich wie zum Beispiel das Malen eines Marienkäfers auf die Hand. Hat ein Kind grosse Angst, sollten die Eltern mit der Kindergärtnerin sprechen, um mit ihr an einem Strick zu ziehen.
Übergänge führen zu Hause oft zu Diskussionen, zum Beispiel wenn das Kind beim Bereitmachen am Morgen oder beim Zubettgehen trödelt. Was hilft hier?
Manchmal ist ein Kind so sehr ins Spiel vertieft, dass es trödelt, oder es möchte noch länger aufbleiben, um Zeit mit den Eltern zu verbringen. Empfehlenswert sind klare Strukturen. Das Zubettgehen sollte immer nach dem gleichen Ritual ablaufen: Pyjama Anziehen, Zähneputzen und Büchlein Lesen. Sowohl am Morgen als auch am Abend kann eine Sanduhr hilfreich sein. Die Eltern müssen sich bewusst sein, dass ihr Kind im Jetzt lebt und nicht aus etwas herausgerissen werden will.
Was können Eltern tun, damit Diskussionen mit dem Kind nicht eskalieren?
Wichtig ist, dass die Eltern auch ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und ihr Kind führen. Mütter und Väter sollen sich überlegen, was ihnen wichtig ist und das dann auch durchziehen. Denn Konflikte und Eskalationen haben meist damit zu tun, dass wir Eltern unsere Bedürfnisse nicht wahrnehmen. Eltern sollten nicht schauen, was andere machen. Allzu oft lassen sie sich davon unter Druck setzen. Gerne gebe ich hier ein Beispiel: Ein Kind möchte beim Essen immer auf der Mama sitzen. Doch die Mutter möchte ihr Essen lieber warm geniessen. Wenn ihr dies wichtig ist, dann soll sie darauf bestehen, dass das Kind an seinem Platz sitzt.
Autorin: Susanna Steimer Miller ist Journalistin und hat sich auf Themen rund um die Schwangerschaft und Geburt sowie die Gesundheit, Ernährung, Entwicklung und Erziehung des Kindes in den ersten fünf Lebensjahren spezialisiert.